Odins Insel
An den Wänden des alten Fachwerkgebäudes hingen Malereien der südnordischen Flotte, die bis zu ihrer Gründung 1481 zurückreichten. In einigen Glasvitrinen waren Seemannsuniformen aus den verschiedenen Epochen ausgestellt, während in anderen Schiffsmodelle sowie Miniaturreproduktionen einiger schwerer Schlachten zu sehen waren, die die südnordische und die nordnordische Flotte miteinander ausgefochten hatten. Doch Tagebücher, Fahrwasserbeschreibungen oder andere persönliche Aufzeichnungen schien es nicht zu geben. Um diese einzusehen, müsse er die Küste hinauf zum Schloss des Prinzen fahren, sagte der Mann am Empfang dem Fischer Ambrosius, als
dieser sich schließlich zu fragen entschlossen hatte.
Zwei Stunden später ging der Fischer Ambrosius über die Pflastersteine zu dem alten Schloss, von dem seit den frühesten Zeiten der südnordischen Geschichte die Einfahrt zum inneren Hafen kontrolliert worden war. In dem Museum gab es nicht nur die Notiz- und Handelsbücher, die ausgestellt waren – und die interessant, wenn auch für den Fischer Ambrosius unbrauchbar waren –, und mit gleichen Teilen Höflichkeit und Beharrlichkeit schaffte er es, Zutritt zu der kleinen Bibliothek hinter dem Museum, die mit alten Seefahrtsdokumenten und Büchern gefüllt war, zu erlangen. Der Museumswärter zeigte an den eng stehenden Regalen vorbei zu einem ganz hinten im Raum stehenden Regal und ließ den Fischer alleine. Es roch muffig nach altem Holz und morschem Papier, und bei jedem Schritt, den der Fischer machte, wirbelte aus allen Richtungen Staub auf. Das Regal, das ihm der Museumswärter gezeigt hatte, enthielt mehrere Borde mit Handelsbüchern, und der Fischer dachte, dass er Wochen brauchen würde, um alle durchzusehen. Doch schnell stellte er fest, dass die Handelsbücher erst um das 18. Jahrhundert begannen und somit zu neu waren, um von Interesse zu sein. Darüber hinaus waren die meisten von großen Frachtschiffen, die ohnehin nicht auf einer kleinen schwer zugänglichen Insel anlegen würden. Nach den Handelsbüchern folgten einige Reihen mit Tagebüchern, Logbüchern und persönlichen Fahrwasserbeschreibungen, die verschiedene Kapitäne hinterlassen hatten. Der Fischer öffnete eine, dann eine andere, aber auch sie waren alle zu neu, um ihm helfen zu können. Er schüttelte resigniert den Kopf; was für eine Zeitverschwendung. Dann wurde sein Blick von etwas in einem Regal auf seiner linken Seite gefangen: die Zollbücher der Meerenge. Der Meerengenzoll war 1429 eingeführt worden, und obwohl die Bücher nur bis 1497 zurückreichten, genügte das dem Fischer Ambrosius voll und ganz.
Die ersten Zollbücher waren nicht besonders viel versprechend, da in ihnen hauptsächlich Lastschiffe auf ihrem Weg von und nach Fredenshvile und zu den Ländern entlang des Inneren Meeres aufgeführt waren. Aber nachdem er eine Reihe der fast unleserlichen
Aufzeichnungen durchgegangen war, stieß der Fischer auf die Insel Urö – ein Schiff, das von Altnorden kam, wollte auf seinem Weg nach Fredenshvile auf Urö anlegen. Ein wenig weiter unten fand er Urö wieder, und dann noch ein weiteres Mal. Auf dem Weg von und nach Fredenshvile oder dem Inneren Meer hatten einige kleinere Schiffe auf Urö angelegt. Und da Urö nur wenige Meilen nördlich von Odins Insel lag, war es nicht unmöglich, dass ein Schiff auf seinem Weg nach Urö an der Insel vorbeigesegelt war. Der Fischer Ambrosius ließ seinen Finger die Seite hinunterlaufen und hielt jedes Mal inne, wenn Urö erwähnt wurde, um die Aufzeichnungen daneben zu untersuchen. In den ersten der zahlreichen Aufzeichnungen fand sich nichts, das auf Urös südliche Nachbarinsel hindeutete, sodass der Fischer das Buch zurückstellte und ein paar Bücher übersprang, bis er eines fand, das im Jahr 1614 begann. Auch hier stieß der Fischer mehrmals auf Urö, ohne dass ihm etwas Bemerkenswertes auffiel, und er blätterte schnell weiter, bis er zum 11. April 1614 kam. Ein Schiff, das mit Korn auf dem Weg nach Urö war, sollte mit einer anderen Ladung weiter nach Fredenshvile, und kein anderer Halt wurde erwähnt. Doch neben Urö war ein sonderbarer Fleck, der wie ein Zwischending aus einem großen Klecks Fliegendreck und einem kleinen Tintenklecks aussah. Neben der nächsten Eintragung fand sich ein entsprechendes Zeichen. Der Fischer blätterte weiter – fast jedes Mal, wenn Urö erwähnt wurde, war der Fleck da, fast wie ein zusätzlicher Buchstabe. Das Zollbuch war zu Ende, und der
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