Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
Rotrud und sie liebt mich.“
„Sie liebt dich?“, fragte ich verblüfft.
„Erst kürzlich hat sie es mir gestanden. Wir haben auch schon Küsse getauscht, heimlich natürlich, während eines Jagdausflugs. Aber einer dieser widerlichen Ohrenbläser, von denen es hier wimmelt, muss es gesehen und dem Alten hinterbracht haben. Auch das ist ein Grund für ihn, mich zu entfernen, und zwar möglichst weit. Vielleicht hofft er sogar, dass mir etwas zustößt. Vergebens natürlich! In ein paar Monaten, wenn wir zurück sind, werde ich um sie anhalten.“
„Aber ist sie nicht noch ein Kind? Erst dreizehn Jahre alt?“
„Alt genug, um zu heiraten. Ihre Mutter, die selige Hildegard, war dreizehn, als sie zum ersten Mal niederkam. Was der König kann, kann ich auch! Zum Glück ist Rotrud nun wieder frei. Sie war schon einmal verlobt, mit dem byzantinischen Thronfolger. Der Alte hat die Verlobung platzen lassen … aus purem Eigennutz, weil er seine Töchter nicht hergeben will. Aber er hat nicht mit Odo von Reims gerechnet. Was ist? Du siehst mich so seltsam an. Glaubst du mir etwa nicht?“
„Ich wünsche dir Glück und Gottes Segen.“
„Sehr gut, das können wir beide brauchen. Auch du! Jetzt werden wir erst einmal große Taten vollbringen. Wir werden in diesem wüsten Sachsen eine mustergültige fränkische Rechtsordnung einführen. Und wenn wir ruhmbedeckt zurückkehren, muss mir de Alte endlich ein Benefiz geben. Oder besser gleich eine Grafschaft. Das wird er seinem künftigen Schwiegersohn schuldig sein. Und du … du bekommst auch deinen Anteil. Du wirst mindestens Bischof.“
Er lachte wieder und ich stimmte ein. Trotz unserer kurzen Bekanntschaft glaubte ich, ihn schon so weit zu durchschauen, dass ich ungefähr unterscheiden konnte, was der Wahrheit entsprach und was nur Geflunker war. An der Behauptung, er sei ein Nachkomme der Merowinger, mochte vielleicht etwas dran sein. Genaueres weiß ich bis heute nicht. Dass ihn aber die Tochter des Königs liebte, hielt ich für eitle Prahlerei, mit der er sich wichtig machen wollte. Die feixenden Mienen einiger Tischgenossen, die an dieser Stelle unseres Gesprächs ein paar Brocken aufgeschnappt hatten, bestärkten mich in dieser Ansicht.
Wie ernst es ihm aber damit war, sollte ich gleich darauf erfahren.
Zur Tür herein trat ein Sänger, ein bemerkenswert großer und schöner Mann mit auf die Schultern wallendem Blondhaar, im prächtigen, golddurchwirkten Gewand, die Harfe im Arm. Lächelnd, mit raschen, wiegenden Schritten durchmaß er die Halle. Sein seidener Umhang wehte ihm anmutig nach. Er neigte sich vor dem König und bedachte auch die königliche Familie und die wichtigsten Würdenträger mit vollendeten Reverenzen.
Der Lärm in der Halle ebbte rasch ab. Jeder wusste, wie sehr der König den Skops, den weit gereisten Dichtern und Sängern, zugetan war, wie aufmerksam er ihnen zu lauschen und wie missfällig er Störungen aufzunehmen pflegte. So beeilten sich alle, ihr Mahl zu beenden oder wenigstens zu unterbrechen. Da und dort wurden noch hastig ein paar Bissen verschlungen, Handrücken fuhren über Bärte und Münder, um das Fett abzuwischen. Odo füllte uns nochmals die Becher.
Ich war voller Vorfreude. Wann hat unsereiner schon mal Gelegenheit, andere Lieder zu hören statt, Gott verzeihe es mir, immer dieselben, die man in der Kirche singt?
Der Herr Karl richtete freundliche Begrüßungsworte an den Sänger und stellte ihm einige Fragen. Weil ich recht entfernt saß, verstand ich nicht alles. Nur soviel bekam ich mit, dass der Mann Siegram hieß und einem edlen angelsächsischen Geschlecht entstammte. Fast alle Gegenden des Frankenreichs und auch andere Länder habe er bereist, so erklärte er, weshalb er in der Lage sei, neben seinen eigenen Dichtungen manches vorzutragen, was man im Norden und Süden, Osten und Westen singe. Und er begann auch gleich mit einem Heldenlied, das sich der König ausdrücklich wünschte und dessen Vortrag wohl zuvor schon vereinbart war.
Das Lied stammte aus dem Langobardischen und war die Geschichte zweier Kämpfer, Vater und Sohn, die sich infolge eines widrigen Schicksals auf Leben und Tod gegenüberstanden, wobei der Vater den Sohn schließlich tötete.
Der Sänger verstand seine Sache, er wusste die Zuhörer zu fesseln. Seine hohe, doch kräftige Stimme drang bis in den letzten Winkel der Halle. Seine mimische und gestische Ausdruckskraft waren bewundernswert. Je nachdem, ob er den Vater oder den Sohn
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