Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
und damit alles verderben, was gerade so gut begann. Ich sprang auf und lief dem Sänger nach. Draußen geschah tatsächlich, was ich befürchtet hatte.
Der Sänger ging über den Hof auf eines der Gästehäuser zu. Odo trat von der Seite an ihn heran, sein Schwert am Gürtel. Das schien den Sänger jedoch nicht sehr zu beeindrucken.
Ein Ochsengespann, das auf dem belebten Hof vorüber getrieben wurde, hinderte mich einen Augenblick daran, mich den beiden zuzugesellen. Als ich bei ihnen ankam, standen sie sich gegenüber – ein wütender Odo und ein hochmütig lächelnder Siegram.
„Euer Betragen war unverschämt!“, schnauzte Odo. „Nicht einmal die höchsten Würdenträger dürfen sich solche Freiheiten herausnehmen. Ihr werdet noch heute die Pfalz verlassen!“
„Ach, und wie käme ich dazu?“, entgegnete der Sänger. „Ist Euch entgangen, wie erfolgreich ich war? Man wird mich noch öfter zur Tafel rufen.“
„Da täuscht Ihr Euch aber sehr. Man wünscht nur eines: dass Ihr so schnell wie möglich abreist!“
„Und wer befiehlt das?“
„Hier hat nur einer zu befehlen.“
„Der eine hat mir gerade diesen Pokal geschenkt.“
„Weil er mit Euerm Gesang zufrieden war. Mit Euerm Betragen ganz und gar nicht.“
„Aber was habe ich denn verbrochen?“
„Da fragt Ihr noch?“
„Ich bitte Euch, klärt mich auf.“
„Man küsst nicht in aller Öffentlichkeit eine königliche Jungfrau, die einem Edelmann bestimmt ist!“
„Zuerst hat die Jungfrau mich geküsst.“
„Damit hättet Ihr Euch begnügen müssen.“
„War denn der Edelmann, dem sie bestimmt ist, anwesend?“
„Er war es.“
„Seid Ihr es etwa?“
„Und wenn ich es wäre?“
Herr Siegram lächelte nachsichtig wie über einen misslungenen Scherz und ließ herausfordernd langsam seinen Blick an Odo hinab gleiten. Ich erwähnte bereits, dass der äußere Eindruck, den mein neuer Gefährte machte, von oben nach unten zunehmend ungünstiger wurde. Bei den zerrissenen Stiefeln angekommen, verweilte der Blick des Sängers mit genüsslicher Ruhe.
„Ich gratuliere Euch!“, sagte Herr Siegram. „Zweifellos werdet Ihr Eure Braut sehr glücklich machen. Aber wollt Ihr etwa in diesen Stiefeln auf Eurer königlichen Hochzeit tanzen?“
Der elegante Sänger ließ ein kurzes verächtliches Lachen hören, warf die Lockenmähne zurück und ging mit wehendem Mantel weiter. Odos Hand fuhr nach dem Schwertgriff. Doch nun sah ich den Augenblick zum Eingreifen gekommen.
„Bei allen Heiligen! Lass das Schwert stecken!“
„Hast du gehört, wie mich der Laffe beleidigt hat? Ich werde ihn zum Zweikampf fordern!“
„Das wirst du nicht tun. Du bist nicht mehr nur für dich selbst verantwortlich. Vergiss nicht, ab heute hast du ein Amt. Du bist ein Stellvertreter des Königs!“
„Also hat er den König beleidigt. In mir, seinem Stellvertreter!“
„Wenn schon. Von einer solchen Höhe aus lässt man sich nicht auf Zweikämpfe ein.“
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“
„Ich würde mir ein paar neue Stiefel anmessen lassen.“
Einen Augenblick starrte er mich an. Dann blickte er auf seine Füße und plötzlich begann er zu lachen. Er schlug mir die Hand auf die Schulter und rief: „Recht hast du! Ich gehe sofort in die Schusterwerkstatt. Zwar hab ich kein Geld im Beutel, aber dafür gehört mir ja jetzt die Staatskasse!“
Odos Lachen schallte über den weiten Hof. Herr Siegram, der gerade das Gästehaus betreten wollte, sah sich noch einmal verwundert um.
Odo bemerkte es, lächelte gallig und murmelte: „Und dich erwische ich noch, mein Goldkehlchen. Irgendwann sehen wir beide uns wieder!“
Wie recht er hatte. Keine drei Wochen sollten vergehen, bis sie sich wiedersahen.
2. Kapitel
Die nächsten Tage waren mit Reisevorbereitungen angefüllt. Natürlich war ich ab sofort von meinen Aufgaben in der Kanzlei entbunden. Schnell wies ich noch meinen Nachfolger ein, ein blasses Mönchlein, das sich eifrig über das Pult beugte und zu schreiben begann, während ich mitleidig seinen gekrümmten Rücken betrachtete. Dabei hörte ich auf das Gezwitscher der Schwalben, die über dem kleinen Fenster unter dem Dach nisteten. Wie oft hatte ich sie beneidet, weil sie einfach davon flattern konnten, hinaus in die Welt. Es ist wohl noch zu früh für mich, an ein besinnliches Leben in einer Klosterzelle zu denken. Jetzt würde ich meine Flügel breiten!
Ich traf mich mit Odo und wir einigten sich darauf, was jeder tun sollte.
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