Ödland - Thriller
und zittert unkontrolliert. Sein Gehirn ist nur noch Matsch.
Das Schlimmste jedoch sind die Halluzinationen.
Manchmal glaubt er die Stimme Wilburs zu hören, seines toten und schnell vergessenen Sohnes. Dann wieder sieht er seine schlaksige Gestalt im Flur herumlungern. Anthony glaubt nicht an Gespenster, also muss es sich um Halluzinationen handeln - Projektionen des Geistes, die von verdrängten Schuldgefühlen herrühren, behauptet sein Therapeut. Und wenn es Anthony schon einmal gelingt zu schlafen, dann geistert Wil durch seine Albträume. Durch den Albtraum, denn es ist immer der gleiche: Es ist Nacht, eine tiefe, schwarze, sternenflirrende Nacht. Anthony wandert durch die Wüste. Er ist allein und hat sich verirrt. Bis zum fernen Horizont sieht er nichts als Sanddünen. Mühevoll erklimmt er eine nach der anderen und sinkt dabei bis zu den Knöcheln im lockeren Sand ein. Er ist erschöpft, hat große Angst und weiß nicht, wohin er sich wenden und wie er dem sicheren Tod entkommen soll.
Und dann erscheint Wilbur. Immer. Er löst sich von der Spitze einer Düne oder aus dem Schatten eines Tals. Glücklich läuft Anthony auf seinen Sohn zu. Doch Wilbur sieht merkwürdig aus: Er ist gekleidet wie ein Targi und ebenso sonnenverbrannt. Und doch ist er es; Anthony erkennt die dünne Gestalt und das Gesicht einer internetsüchtigen Eule. Dann gewahrt er die Drohung in den grauen, starren Augen, den Augen Tony Juniors. Die Klinge eines Dolchs blitzt im Mondlicht auf. Anthony kann sich nicht bewegen. Reglos, gelähmt vor Angst, steht er im Sand. Wil/Tony lächelt ihn merkwürdig an, fast traurig und resigniert, als wolle er sich für die unausweichliche Geste entschuldigen, die er gleich vollenden wird.
Dann geht es ganz schnell. Wie ein bleicher Blitz senkt sich die Klinge in Anthonys Herz. Er erwacht mit einem Schrei, schwer atmend und die Hand über seinem Herzen verkrampft. Meist dauert es eine ganze Weile, bis sich sein wild pochendes Herz einigermaßen beruhigt hat und das Gefühl eisiger Kälte weicht. Noch länger dauert es, dem Bild seiner zu einem einzigen Menschen verschmolzenen Söhne zu entrinnen - dem Bild seines Mörders.
Der Albtraum begann, als er anfing, Tony Junior zu betreuen, doch er erkennt keinen Zusammenhang. Es sind die Scheißmedikamente, die ihn kaputt machen! Anthonys Hausarzt und sein Therapeut haben ihn gewarnt, dass es nicht mehr lange so weitergehen könne. Wenn er nicht schnell einen definitiven Schlussstrich zöge, würde das den sicheren Tod oder ein Abdriften in den Wahnsinn bedeuten. Doch wie soll er das anstellen? Wenn er aufhört, bricht er zusammen - das weiß und spürt er. Es ist einfach nicht der richtige Moment; eigentlich ist nie der richtige Moment.
Genau genommen gibt es nur eine Lösung: Er muss fortgehen. Um jeden Preis. Er muss sich dazu durchringen.
Verwirrungen
Die Güter dieser Welt sind nur Leihgaben.
Maurisches Sprichwort
»Hallo, wer spricht da?«
»Mr. Fuller?«
»Ja, aber wer sind Sie? Das Bild ist sehr unscharf; ich kann Sie nicht erkennen.«
»Hier sind Harry Coleman und John Turturo.«
»Aus welchem Loch rufen Sie denn an? Die Verbindung ist miserabel!«
»Hier funktioniert einfach gar nichts! Sogar die Satelliten kommen vom Kurs ab, wenn sie Afrika überfliegen!«
»Und? Wie kommen Sie voran?«
»Ganz schlecht. Dieses Land ist die Hölle!«
»Ja, und weiter?«
»Hier herrscht eine Bullenhitze, und Wasser gibt es auch nicht.«
»Stellen Sie sich vor, das ist mir bekannt!«
»Nein, Mr. Fuller, Sie haben keine Ahnung! Es ist so heiß, dass die Leute einfach krepieren. Auf den Straßen liegen überall Leichen herum, es gibt hier mehr Geier als Ratten in New York. Das Land braucht dringend Wasser. Es besteht so gut wie nur aus Sand und Staub.«
»Hört mal zu, Jungs - für wen arbeitet ihr eigentlich? Für mich oder für Burkina Faso?«
»Sie haben eine Einschätzung der Situation verlangt, und die bekommen Sie. Nicht mehr und nicht weniger. Allerdings müssen wir feststellen, dass Sie die Bedürfnisse des Landes nicht einfach ignorieren können. Wenn Sie den Leuten das Wasser vor der Nase abzapfen, ohne ihnen wenigstens einen Teil davon zu lassen, gibt es Krieg, dafür können wir garantieren. Es wird Ihnen nicht gelingen. Das Volk ist jetzt schon völlig aus dem Häuschen, weil es weiß, dass sich unter seinen Füßen ein immenser Wasservorrat befindet.«
»Apropos Wasservorrat. Waren Sie an der Fundstelle?«
»Unmöglich. Das ganze
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