Ödland - Thriller
Rudy wiederholt seine Geschichte von der ernsthaften Erkrankung und der dringend erforderlichen Rückführung; sie wird auf der hierarchischen Leiter weitergegeben und landet schließlich bei der Flughafenleitung. Der Direktor ist längst in sein Haus in der Enklave zurückgekehrt und lehnt jede Verantwortung ab.
»Wenn Mr. Fuller uns eine schriftliche Vereinbarung unterzeichnet, dass er auf eigenes Risiko startet, kann er das meinetwegen tun. Er ist über die Gefahren informiert. Letztlich ist es seine Sache, wenn er einen Absturz in Kauf nimmt. Haben wir uns verstanden?«
Rudy nickt, und die Vereinbarung wird aufgesetzt. Gerade ist er dabei, sie von Fuller unterzeichnen zu lassen, als der Pilot und der Kopilot am Flughafen eintreffen. Es sind zwei echte Texaner, tragen beide einen Stetson und geben sich amerikanisch bis auf die Knochen. Sie begrüßen ihren Chef, der jedoch nicht antwortet.
»Alles klar, Boss? Halten Sie das durch?«, erkundigt sich der Pilot.
Fuller nickt, ohne die Augen von der Maske zu wenden.
»Warum lässt er das Ding nicht los?«, fragt der Kopilot an Rudy gewandt.
»Ein häufiges Symptom im Fall schwerer Epilepsie«, doziert Rudy in doktorhaftem Tonfall. »Der Patient versucht, sich auf jede nur mögliche Weise ans Leben zu klammern. Ganz gleich, um was es sich handelt - das jeweilige Objekt dient sozusagen als Rettungsanker. Wenn Sie es ihm wegnehmen, fällt er sofort um.«
»Ach ja? So etwas habe ich noch nie gehört«, zweifelt der Kopilot.
»Weißt du, bei all dem Zeug, das er immer schluckt, wundert mich nicht, dass ihm schließlich die Sicherung durchgeknallt ist«, flüstert der Pilot dem Kopiloten vertraulich zu.
Rudy schnappt die Information auf und nutzt sie sofort für seine Zwecke.
»Sie haben völlig recht. Sein Medikamentenmissbrauch ist auch der Grund für die drohende Ruptur des Aneurysmas. Also, Jungs - seid ihr bereit?«
»So gut es eben geht«, nickt der Kopilot.
»Bei dem Sturm da draußen wird es kein Zuckerschlecken«, warnt der Pilot. »Aber da haben wir schon ganz andere Sachen gesehen, was, Hank?«
»Klar, Bill. Kriegen wir denn wenigstens eine Starterlaubnis?«
Hank wendet sich an den obersten Fluglotsen, der auf die von Fuller unterzeichnete Vereinbarung wartet. Rudy reicht sie ihm.
»Jetzt ja! Allerdings auf eigene Verantwortung«, setzt er noch hinzu.
Sie spazieren durch den zu dieser späten Nachtstunde verwaisten Zoll und die unbesetzte Sicherheitskontrolle und gehen zu Fuß über das vom Regen gepeitschte Flugfeld bis zu dem Hangar, wo Fullers Flugzeug untergestellt ist, ein Boeing Business Jet 3-A mit frühlingsgrünen Leitwerken und dem riesigen, smaragdgrünen Logo Resourcing auf beiden Seiten. Das Innere ist unglaublich luxuriös - Teakholztische, üppige Ledersessel, eine in Marmor und Kupfer gehaltene Küche, ein Schlafzimmer mit Kaschmirteppich und angegliedertem Bad, alles mit neuesten technischen Raffinessen wie einem riesigen Holo-Bildschirm mit Surroundsystem, einem komplett vernetzten Arbeitsplatz und dem besten zurzeit auf dem Markt befindlichen Quantum Physics ausgestattet. Während Pilot und Kopilot das Flugzeug durchchecken - alles ist in Ordnung, alle Anzeigen leuchten grün, und die Tanks sind zu drei Vierteln voll -, denkt Rudy intensiv nach. Wie soll er Hank und Bill ohne Waffe dazu bringen, Burkina Faso anzusteuern?
Die zündende Idee kommt ihm, als die Maschine auf der Startbahn steht und die Turboreaktoren hochfährt. Hatten nicht islamistische, lediglich mit Messern und Cuttern bewaffnete Luftpiraten zu Beginn des Jahrhunderts vier amerikanische Linienmaschinen entführt und zwei von ihnen gezwungen, in die Türme des World Trade Centers zu fliegen? So etwas sollte in der Küche sicher zu finden sein. Außerdem besitzt er selbstverständlich eine Waffe - zumindest, wenn die Piloten ihren Chef schätzen.
Die Boeing hebt donnernd ab. Die beiden Reaktoren arbeiten mit voller Kraft. Trotzdem wird die Maschine im Steigflug auf ihre Reisehöhe von Turbulenzen wie von Riesenfäusten geschüttelt. Die geübten Piloten spielen geschickt mit den heftigen Luftströmungen, die der Zyklon hinterlassen hat. Trotzdem wird Rudy ordentlich durchgerüttelt und muss sich auf seinem Weg in die Küche immer wieder festhalten. Er durchwühlt die ordentlich einsortierten Küchenutensilien, findet ein langes, sehr scharfes Messer, das eigentlich dazu dient, Knochen aus Fleisch auszulösen, und lässt es unter seinem Lederblouson verschwinden.
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