Ödland - Thriller
Nächstes meldet sich das Zimmertelefon mit einer netten, kleinen Melodie. Rudy hebt ab, ohne den Bildschirm einzuschalten.
»Ja? ... Nein, Mr. Fuller geht es nicht gut. Er kann das Gespräch nicht annehmen ... Ich bin sein Leibarzt ... Ja, ziemlich schlecht ... Nein danke, ich habe alles Nötige bei mir ... Nein, er möchte niemanden sehen ... Ja, vielen Dank, dass Sie sie informieren ... Ja, danke.«
Rudy legt auf. Natürlich kennt Fuller hier Gott und die Welt, denkt er beunruhigt. Er wird bis zur Abreise in seinem Zimmer bleiben müssen. Eine ganz schön lange Zeit! Aber vielleicht könnte man die Abreise ja vorverlegen ...
»Hören Sie mich, Mr. Fuller?«
»Ja.«
»Wo ist Ihr Flugticket?«
»Ich habe mein Privatflugzeug.«
Donnerwetter! Man gönnt sich ja sonst nichts! Während des Hinflugs konnte Rudy sich ausgiebig mit den Prospekten über das Forum beschäftigen, die Fatimata zusammen mit den Tickets erhalten hatte. Besonders interessierte ihn der Prospekt der Resourcing. Er erinnert sich, dass er in der ellenlangen Liste der Tochtergesellschaften auch Boeing gesehen hat, das ehemalige Flaggschiff der amerikanischen Luftfahrt. Damit besitzt Fuller nicht nur ein einziges Flugzeug, sondern gleich eine ganze Flotte. In jedem Fall aber dürfte dieser Umstand das weitere Vorgehen erheblich erleichtern, denn Rudy kann sofort mit seiner Geisel aufbrechen, ohne sich den Gefahren einer langen Wartezeit und möglichen Unannehmlichkeiten beim Zoll und am Flughafen auszusetzen. Falls es sich bei Fullers Flugzeug um einen Langstreckenflieger handelt, könnten sie sogar ohne den Umweg über Dakar und Bamako direkt in Ouagadougou landen.
»Ich gehe davon aus, dass Sie nicht selbst fliegen, nicht wahr? Haben Sie die Nummer, unter der ich Ihren Piloten erreichen kann?«
Fuller gibt sie ihm. Rudy telefoniert vom Zimmertelefon aus. Der Pilot macht gerade mit dem Kopiloten einen Zug durch die Kasinos und Spielhallen des Atlantis, ist ein wenig beschwipst und zeigt sich äußerst erstaunt über die vorgezogene Abreise, die eigentlich erst für den Spätnachmittag des folgenden Tages vorgesehen war. Rudy gibt sich zum zweiten Mal an diesem Tag als Fullers Leibarzt aus, doch der Pilot glaubt ihm nicht ganz und verlangt, Fuller persönlich zu sprechen.
»In Ordnung, ich gebe das Gespräch weiter«, räumt Rudy ein. »Aber wundern Sie sich nicht, wenn er ein wenig steif wirkt.« Er unterbricht Bild und Ton und wendet sich an Anthony. »Ich gebe Ihnen jetzt Ihren Piloten. Alles, was Sie ihm sagen werden, ist: ›Ich fühle mich sehr schlecht und möchte sofort nach Hause. Seien Sie bitte in einer Stunde abflugbereit.‹ Haben Sie verstanden?«
Fuller nickt bestätigend. Nicht ganz ohne Bedenken reaktiviert Rudy das Zimmertelefon und reicht es ihm. Fuller wiederholt Rudys Satz Wort für Wort mit tonloser Stimme. Doch es ist eher sein verstörtes Aussehen als die Worte, die den Piloten überzeugen.
»Es scheint ihm wirklich nicht gut zu gehen«, gibt er zu, als Rudy das Gespräch wieder übernimmt. »Was hat er?«
»Er hatte einen schweren epileptischen Anfall. Sein Blutdruck ist extrem hoch, und ich befürchte die Ruptur eines Aneurysmas. Aus diesem Grund halte ich eine schnellstmögliche Rückführung für unabdingbar.«
»Wir sind bereit, Sir. Wir treffen uns in einer Stunde am Flughafen.«
Prima!, frohlockt Rudy, als er auflegt. Er wendet sich an Fuller, der keinen Mucks gemacht hat.
»Ziehen Sie sich an, Fuller. Wir verreisen.«
Er wirft ein paar willkürlich aus der Garderobe geholte Kleidungsstücke auf das Bett. Während Fuller sich mit langsamen, mechanischen Bewegungen anzieht, stopft Rudy alle seine Habseligkeiten rasch in die Koffer. An der Hotelrezeption sorgt Fullers Zombie-Aussehen für die beste aller Erklärungen: »Aber selbstverständlich haben wir Verständnis, Sir. Alles ist geregelt, machen Sie sich keine Sorge. Gute Besserung, Mr. Fuller ...«
Die Taxifahrt zum Flughafen dauert nur eine Viertelstunde. Es ist immer noch sehr windig. Ein sintflutartiger Regen prasselt nieder, die Straße ist teilweise überflutet und mit Ästen und Trümmern übersät. Doch der Taxifahrer kennt sich mit solchen Dingen aus. Gelassen fährt er im Slalom zwischen den Trümmern durch die Nachwehen des Zyklons. Am Flughafen muss Rudy feststellen, dass alle Flüge bis zum nächsten Tag annulliert sind. Mit der Sicherheit der VIPs ist nicht zu spaßen, und auch der Ausläufer eines Zyklons kann noch sehr gefährlich sein.
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