Ödland - Thriller
Freiheitsberaubung in mehreren Fällen, kriegerische Handlungen in Friedenszeiten, Aneignung fremder Güter in betrügerischer Absicht, Beschädigung von Staatseigentum, Aufruf zum Aufstand, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Unterschlagung öffentlicher Gelder. Aufgrund der vorgenannten Vergehen verurteile ich den ehemaligen General Victor Kawongolo zum Tod durch Erschießen. Das Urteil wird gemäß den militärischen Regeln durch ein noch zu bestimmendes Erschießungskommando vollstreckt. Möchten Sie sich zu dem Urteil äußern, Monsieur Kawongolo?«
Vor dem Militärgericht herrscht tödliches Schweigen. Alle Augen richten sich auf Kawongolo, der auf der Anklagebank in sich zusammengesunken ist. Zwei Soldaten, die ihn rechts und links bewachen, fühlen sich sichtlich unwohl in ihrer Haut.
Kawongolo hebt den Kopf und lässt den müden Blick über das Tribunal schweifen, das ausschließlich aus Militärs besteht, mit Ausnahme von Präsidentin Fatimata Konaté, die als oberste Befehlshaberin des Heeres ebenfalls anwesend ist. Er richtet die umschatteten Augen auf den Richter, der auf einem erhöhten Podest sitzt und niemand anders ist als der inzwischen zum General ernannte frühere Oberst Barry, der Sieger über die Rebellen und »Befreier« von Burkina Faso.
»Ich möchte bitte noch etwas sagen«, murmelt er mit bedrückter Stimme.
»Bitte stehen Sie auf und sprechen Sie lauter.«
Kawongolo gehorcht und bemüht sich, eine gerade und stolze Haltung einzunehmen, wie sie seinem früheren Rang entsprochen hätte. Doch es gelingt ihm nur zur Hälfte. Die im Arrest verbrachte Woche hat ihn körperlich und seelisch gebrochen.
»Alles, was ich getan habe und dessen Sie mich beschuldigen, ist nur zu einem einzigen Zweck geschehen: Ich wollte meiner Ehefrau die völlige Erblindung ersparen. Die trügerischen Versprechungen der NSA-Agenten habe ich für bare Münze genommen und ernsthaft geglaubt, dass sie meine Frau als Gegenleistung für meine Hilfe von den besten amerikanischen Spezialisten behandeln lassen würden. Ich gebe zu, dass ich dumm und naiv war. Jetzt muss ich mit meinem Leben dafür bezahlen, aber das kann ich akzeptieren.« Er wendet sich an Fatimata. »Saibatou aber kann nichts dafür. Sie ist unschuldig und wusste von nichts. Jetzt ist sie schwer krank. Ich bitte Sie, Madame, lassen Sie sie behandeln. Das ist alles, worum ich Sie bitte.«
Kawongolo lässt sich schwer auf die Anklagebank zurückfallen. Seine Augen sind trüb vor Kummer. Fatimata hebt die Hand und bittet um das Wort. Barry nickt ihr zu. Mit deutlicher, klarer Stimme verkündet sie:
»Ich möchte Ihnen versichern, Monsieur Kawongolo, dass wir Ihren letzten Wunsch erfüllen werden. Ihre Ehefrau wird so bald wie möglich von einem Spezialisten behandelt. Und sollten Sie meine Zusage bezweifeln, darf ich Sie daran erinnern, dass nach unseren alten Bräuchen der letzte Wunsch eines Delinquenten heilig ist. Wer ein solches Versprechen nicht erfüllt, ist ebenfalls des Todes.«
Die Versammlung applaudiert Fatimata, die sich würdevoll wieder setzt. Barry wartet, bis Ruhe eingekehrt ist, und schließt die Sitzung.
»Die Vollstreckung des Urteils erfolgt übermorgen, am 28. Dezember im Morgengrauen, vorbehaltlich einer eventuellen Begnadigung von höchster Stelle. Frau Präsidentin, meine Herren, die Verhandlung ist geschlossen.«
Am Ausgang der Militärakademie von Kadiogo, wo die Sitzung stattgefunden hat, trifft Fatimata auf die Justizministerin Aissa Bamory und die Ministerin für Wasserversorgung und Ressourcenverwaltung Claire Kando, die inzwischen zur vorläufigen Premierministerin befördert wurde. Aus vorläufig könnte gut endgültig werden, denkt die Präsidentin. Claire ist kompetent, effizient, kompromisslos und nicht korrupt. Sie muss lächeln, als sie die beiden Frauen nebeneinanderstehen sieht, denn sie sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Claire ist klein, trocken, faltig und geht ein wenig gebeugt. Ihr mageres Gesicht verschwindet fast unter einer riesigen Brille. Dem gegenüber ist Aissa groß, blühend und üppig mit sinnlichen Lippen in einem schönen, rundlichen Gesicht; ihre Mandelaugen haben den verstorbenen Issa Coulibaly - Friede sei seiner Seele - derart bezaubert, dass er nur knapp einer Klage wegen sexueller Nötigung entging. Claire ist grob, direkt und streng, Aissa hingegen blumig, heiter und versöhnlich. Für das Fernsehen würde sie als Premierministerin sicher mehr hergeben ... Doch
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