Ödland - Thriller
wurde ...
Abou presst Lauries Hand und lauscht angestrengt dem kleinen Transistorradio von Bana, das an der Wand hängt und leise vor sich hin brabbelt. Es ist Zeit für die Nachrichten auf La Voix des Lacs. Die Rede ist von Fullers Flucht und von seiner Leiche, die man in der Wüste von Soum gefunden hat. Seine Leiche? Er hätte nicht sterben sollen! Abou macht sich bittere Vorwürfe. Er hat das Gefühl, eine große Dummheit begangen zu haben. Und die Tatsache, dass Hadé sie so lange warten lässt, bestätigt diese Vermutung. Aber das Bangré ... Auch Laurie wird jetzt aufmerksam.
»Was ist los, Abou, mein Schatz? Du machst einen so sorgenvollen Eindruck. Befürchtest du etwa, dass deine Großmutter mich nicht leiden kann?«
»Nein, das ist es nicht...«
Wieder widmet er seine Aufmerksamkeit dem Radio. In einem Interview erwähnt Kommissar Ouattara die Möglichkeit, dass der Tote einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, obwohl er keine anderen Verletzungen aufweist als die von den Geiern stammenden Gesichtswunden. Dass er weder Papiere noch irgendwelche Habseligkeiten bei sich hatte, könnte auch auf einen Raubmord hinweisen. Es ist bekannt, dass die Wüstengebiete im Norden des Landes häufig von Plünderern und Wegelagerern heimgesucht werden. Wie und warum Fuller - falls es sich überhaupt um ihn handelt - bis hierhin vorgedrungen ist, bleibt dem Kommissar ein Rätsel. Dass Fuller aus dem Lager geflohen ist, steht hingegen fest und wurde auch von Hauptmann Yaméogo bestätigt; Abou hat sich für seine Unaufmerksamkeit eine weitere Rüge eingehandelt. Trotzdem hat der Hauptmann sich großzügig gezeigt und Abou gestattet, seine Großmutter zu besuchen, um sich behandeln zu lassen. Abou gibt ihm gegenüber vor, er sei krank und brauche eine entsprechende Medizin. Von morgen an allerdings hat er vierzehn Tage lang Lagerarrest und darf das Camp nicht verlassen.
Als Laurie merkt, wie gebannt Abou den Nachrichten lauscht, hört sie ebenfalls genauer hin. Nach und nach dämmert ihr, was geschehen ist.
»Sag mal«, fragt sie halblaut, »das waren doch nicht zufällig Rudy und du? Habt ihr etwa Fuller in die Wüste gebracht?«
»Ja«, murmelt Abou mit gesenktem Kopf. »Aber wir haben ihn nicht getötet«, beeilt er sich hinzuzufügen. »Wir haben ihn einfach laufen lassen.«
»Aber ... aber das ist ja...« Laurie fehlen die Worte.
»Wir wollten ihm nur eine Lektion erteilen«, erklärt Abou. »Es war nicht einmal gefährlich. Er sollte bloß erkennen, wie schwer das Leben hier ist. Das nächste Dorf war höchstens drei Stunden Fußmarsch entfernt.«
»Aber Fuller sollte nach Ouaga zurückkehren und dort vor Gericht gestellt werden!«
»Rudy sagt, dass Fatimata ihn nach Hause schicken wollte.«
»Hatte etwa Rudy diese geniale Idee?«
»Äh ... ja und nein. Es war ein Geist aus dem Bangré, der es uns befohlen hat.«
Laurie vergräbt das Gesicht in den Händen. Sie traut ihren Ohren nicht. Ein Geist soll den beiden befohlen haben, Fuller in der Wüste auszusetzen? Dieses Bangré scheint ja einen breiten Rücken zu haben!
Auf der entgegengesetzten Hofseite ist Hadé endlich von ihrer Bank unter der Tamarinde aufgestanden und watschelt in ihre Hütte. Im Vorübergehen macht sie Abou ein Zeichen. Der junge Mann steht auf und greift nach der Maske, die er, in viele Schichten Zeitungspapier eingewickelt, wieder mitgebracht hat. Laurie folgt ihm.
Das Innere der Hütte sieht fast so aus, wie sie es sich vorgestellt hat - Masken, Umhänge aus Pflanzenfasern, getrocknete Pflanzen, Figuren und Amulette. In einer Ecke steht ein mit Kaurimuscheln geschmücktes Tongefäß, aus dem duftender Rauch aufsteigt und das eine unbewusste Furcht in ihr wachruft. Ob das der berühmte Fetisch ist, der die »Sicht« in das Bangré gestattet?
Abou legt die Maske am Fuß eines Pfeilers ab und greift nach Lauries Hand.
»Großmutter, das ist meine Verlobte...«
Er spricht nicht weiter. Hadé schenkt ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit. Sie wirbelt in der Hütte herum, stellt Dinge um, hängt ein herumliegendes Kleidungsstück auf, beschäftigt sich hastig und nervös. Erstaunt bemerkt Laurie, dass sie ihren Besuchern nicht einmal den traditionellen Becher mit frischem Wasser gereicht hat.
Plötzlich baut sie sich vor ihrem Enkel auf. Ihre großen Augen sprühen Blitze.
»Abou, hast du eigentlich nur heiße Luft in deinem Schädel? Oder ist es die Liebe, die dich blind und taub werden lässt?«
Abou zieht den Kopf ein. Seit
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