Ödland - Thriller
seiner Ankunft spürt er, dass ein Gewitter in der Luft liegt. Es war wohl nicht die beste Idee, dass er Laurie ausgerechnet heute mitgebracht hat, aber sie hat ein Auto, und er kann nicht fahren.
»Sagst du das wegen ... wegen Fuller?«, erkundigt er sich mit jämmerlicher Miene.
Hadé antwortet nicht, sondern wettert weiter. Noch nie hat Abou sie so aufgebracht erlebt.
»Wozu habe ich dir eigentlich all diese Dinge beigebracht? Wozu habe ich dir gezeigt, wie man im Bangré liest? Wozu brauchst du deine und meine Kräfte, wenn du nicht einmal in der Lage bist, deinen Feind zu erkennen, wenn du ihn direkt vor der Nase hast? Hat dich im Bangré jemals ein Geist angesprochen? Hat dir je ein Geist gesagt, dass du dieses oder jenes tun oder lassen sollst? Antworte!«
»Nein.« Abous Stimme ist kaum zu hören. Er schwitzt.
»Und diesen angeblichen Targi, hast du den nicht vielleicht schon früher gesehen? Und habe ich dir nicht gezeigt, wer es ist? Wo hast du bloß deinen Kopf? Oh, Wendé! Und dabei habe ich all meine Hoffnungen auf dich gesetzt.«
Abou möchte am liebsten im Erdboden versinken. Laurie hat es vorgezogen, die Hütte zu verlassen, um ihm noch größere Peinlichkeit zu ersparen.
»War es etwa ... der Feind, Großmutter? Das Gesicht des Hasses?«
»Nicht zu fassen!« Hadé schüttelt betrübt den Kopf. »Und du hast ihm brav gehorcht, ohne dir Fragen zu stellen und ohne auch nur zu versuchen, klarzusehen.«
»Das verstehe ich nicht. Warum wollte unser Feind, dass wir Fuller in die Wüste bringen? Hätte er ihn nicht eher schützen sollen? War Fuller nicht sein Verbündeter?«
»Auch das habe ich dir längst erklärt, aber du scheinst ja nichts zu behalten. Im Augenblick steckt dein Gehirn offenbar in deinem Penis.«
»Großmutter!«
»Ich sage die Wahrheit, Abou, und das weißt du auch. Du bist heute gekommen, um mir mitzuteilen, dass du auf das Bangré verzichten willst, um General zu werden und Laurie an deiner Seite zu behalten. Habe ich recht?«
Abou errötet. Obwohl er weiß, dass seine Großmutter in seinen Gedanken lesen kann wie in einem offenen Buch, wollte er ihr den Sachverhalt ein wenig anders darstellen.
»Aber so wirst du sie nicht halten können, und das weißt du ebenfalls.«
»Ja, sie hat es mir gesagt. Wohlstand interessiert sie nicht. Aber ich will sie doch glücklich machen, und dafür brauche ich Geld!«
Hadé seufzt.
»Sohn, du fängst an, wie ein Weißer zu denken. Das ist nicht gut. Bist du wirklich der Ansicht, das Bangré wäre eine Art Zauberkunststück, um deinen Freunden zu imponieren? Oder so etwas wie eine Sportart, mit der man einfach aufhört, wenn einem danach ist? Glaubst du, du müsstest den Kinderkram aufgeben und dich ernsteren Dingen wie beispielsweise einer Karriere in der Armee widmen, um einen Hausstand gründen zu können? Denkst du wirklich so, Abou?«
»Nein, ich ...«
»Sei ganz ehrlich!«
Abou senkt den Blick. Tatsächlich muss er sich eingestehen, dass ihm solche Gedanken durchaus durch den Kopf gegangen sind. Als vernunftgeprägte Westeuropäerin glaubt Laurie nicht an das Bangré; Abou hat sich überlegt, dass er so werden müsste wie sie, um harmonisch mit ihr zusammenleben zu können. Immerhin hat sie deutlich gemacht, dass sie einander verstehen müssten.
»Ja, Großmutter«, gibt er flüsternd zu.
Hadé hält in ihrer Wanderung durch die Hütte inne, setzt sich in ihren niedrigen Sessel, nimmt Abous Hände und zwingt ihn, vor ihr in die Hocke zu gehen. Sie sieht ihm lange und tief in die Augen. Ihr Blick ist so intensiv, dass er schließlich verlegen den Kopf abwenden muss.
»Hör mir gut zu, mein Sohn. Das, was ich dir jetzt sage, ist sehr wichtig, denn es geht um deine Zukunft und um dein Leben. Passt du auf?«
»Ja, Großmutter, ich höre dir zu.«
»Wenn du weiter so denkst, wirst du alles verlieren. Und zwar nicht nur Laurie, sondern auch deine Karriere, deine Gesundheit, deine Seele und schließlich dein Leben. Es ist nicht so, als ob du das Bangré gewählt hättest - nein, das Bangré hat dich ausgesucht. Dass ich dich einweihe, hat nichts mit Erziehung zum traditionellen Denken unserer Vorfahren zu tun. Ich habe erkannt, dass du die Begabung hast und dass du die Kräfte sehen und spüren kannst wie ich. Wendé hat mir gezeigt, dass ich dir beibringen muss, wie man die Kräfte beherrscht, um Gutes zu vollbringen. Würde ich dich nicht einweihen, würden die Kräfte sich über kurz oder lang deiner bemächtigen, um
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