Ödland - Thriller
lächelt, doch sein Lächeln verzieht sich sofort zu einer schmerzlichen Grimasse. Sein Gesicht ist von Bisswunden übersät, und er blutet, wie er schnell bemerkt, als er vorsichtig seine Wangen abtastet. Dann sind die Dämonen und die Hyäne doch nicht nur Einbildung gewesen! Bei dieser Feststellung kehrt das Entsetzen erneut zurück. Fuller dreht sich um, späht in die Nacht, wirbelt zur anderen Seite, hält Ausschau nach einer Bewegung, nach glühenden Augen und lauscht auf ein Lachen ... Nichts! Langsam entspannt Fuller sich. Er scheint dem Albtraum tatsächlich entkommen zu sein! Jetzt muss er nur noch die Spuren des Autos wiederfinden, das ja mit Sicherheit auf einer Piste oder Straße gefahren ist ... Haben diese naiven Burschen tatsächlich geglaubt, sie könnten ihn irgendwo aussetzen? Schließlich ist Fuller nicht von gestern!
Er macht sich auf den Weg, ungefähr in die Richtung, in die das Motorengeräusch und die roten Lichter verschwunden sind. Es geht nur mühsam voran. Immer wieder versinken Fullers Füße im pudrigen Sand. Allmählich kommt Wind auf. Er hört es, und er spürt es auf der Haut. Zunächst ist der Wind kaum wahrnehmbar - wie der laue, trockene Atem eines Sterbenden oder ein sanfter Seufzer -, doch dann frischt er auf, pfeift vernehmlich und führt Sandpartikel mit sich. Die Dünengrate geraten in Bewegung, in den Senken bilden sich Wirbel, und die Zweige des ausgetrockneten Buschwerks peitschen ins Leere. Mit gesenktem Kopf beschleunigt Anthony seine Schritte. Er sucht nach den Reifenspuren, kann aber trotz angestrengtestem Hinsehen nichts als über den Boden treibenden Sand erkennen - Sand, der vom immer stärker werdenden Wind aufgewirbelt wird und um ihn herumtanzt, Kreisel aus Staub, Strudel aus Quarz ... Nein! Nein! Fuller beginnt zu rennen, doch der Wind verfolgt ihn und flüstert ihm undeutliche Verwünschungen in die Ohren. Der Sand spielt mit ihm Haschen, bildet vergängliche Figuren, in denen er seine Schimären wiedererkennt ... Nein! Nicht hier! Ich lebe. Ich lebe in der Wirklichkeit! Ist es so? Das Firmament ist ausgewischt, der Horizont besteht nur mehr aus wogendem Staub, die zeitweise erkennbaren Büsche sehen wie drohend kauernde Kreaturen mit gesträubtem Fell aus, die nur darauf warten, sich auf ihn zu stürzen. Anthony rennt kopflos weiter. Er schreit, doch der Wind brüllt lauter als er. Die toten Stimmen in seinen Ohren werden lauter: Du wirst sterben ... Du wirst sterben ...
Er stolpert über einen halb im Sand begrabenen Busch und fällt der Länge nach hin. Einen Moment lang bleibt er auf dem Bauch liegen, während Sand und Wind in ihrem irrwitzigen Reigen um ihn herumtanzen, Todesdrohungen ausstoßen und verzerrte Dämonengesichter entstehen lassen. Plötzlich spürt er, dass jemand da ist. Ein Schatten fällt auf ihn. Sind sie zurückgekommen? Wollen sie ihn abholen? Hatten sie schließlich doch noch Mitleid mit ihm? Er hebt den Kopf und wendet das mit blutigem Sand verkrustete Gesicht nach oben.
Es ist ein hochgewachsener, schlanker, schlaksiger Targi. Er trägt eine beige Djellaba. Sein Kopf ist mit einem indigofarbenen Cheche verhüllt, der das ganze Gesicht mit Ausnahme seiner stahlgrauen Augen bedeckt. In der Hand hält er die takouba, den schmalen, spitzen Dolch der Tuareg.
»Bitte, helfen Sie mir«, murmelt Fuller. Sein Stolz ist dahin.
Der Targi beginnt zu lachen. Mit seiner freien Hand streift er sich langsam den Cheche vom Gesicht.
Er hat Wilburs Gesicht. Nein, das von Tony. Von Wilbur. Von Tony ...
»Du wirst sterben, Vater.«
Fuller heult vor Entsetzen auf.
Der Targi hebt seine takouba und stößt ihm die Klinge mitten ins Herz.
Der Feind
Ein Hirte vom Stamm der Fulbe entdeckte heute Morgen in der Provinz Soum, etwa fünfzehn Kilometer nördlich von Tongomayel, mitten in der Wüste die Leiche eines etwa fünfzigjährigen Weißen. Der Mann hatte sich offenbar verirrt und ist entweder verdurstet oder der Hitze zum Opfer gefallen. Sein Gesicht war bereits von Geiern entstellt, und er hatte keinerlei Gepäck oder Ausweispapiere bei sich, die Aufschluss über seine Identität geben könnten. Allerdings ist anzunehmen, dass der Leichenfund nach Angaben des mit der Untersuchung betrauten Kommissars Ouattara in direktem Zusammenhang mit der Flucht von Anthony Fuller steht, dem Vorstandsvorsitzenden der Resourcing ww. Fuller entkam in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag aus dem Militärlager von Kongoussi, in dem er vorläufig festgehalten
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