Ödland - Thriller
gegen die Krankheit vor.«
»Und die andere Möglichkeit?«
»Ich befreie Sie in einer einzigen Nacht - heute Nacht - ein für alle Mal von dem Übel.«
»Ist das wahr?« Ein hoffnungsvolles Lächeln bringt Lauries Gesicht zum Strahlen.
»Ich bin noch nicht fertig. Es würde nämlich bedeuten, dass ich die Krankheit auf mich nehme. Der Vorgang ist so anstrengend, dass ich ihn vermutlich nicht überlebe; wenn ich aber nicht daran sterbe, werde ich so krank sein, dass mein Leben keinen Pfifferling mehr wert ist.«
Laurie reißt die Augen auf.
»So hoch ist der Preis?«
»Ja, Laurie, so hoch ist der Preis.«
Laurie und Abou wechseln einen schmerzlichen, unendlich hilflosen Blick. Dann schüttelt Laurie den Kopf.
»Nein, Hade. Auf keinen Fall werde ich Ihr Leben für meine Gesundheit opfern. Da nehme ich lieber die westliche Art in Kauf. Auch wenn ich mein Leben lang darunter leiden muss und auch wenn ich daran sterben sollte.«
Bei diesen Worten schießen Abou die Tränen in die Augen. Vergeblich bemüht er sich, sie zurückzuhalten. Laurie nimmt seine Hand und drückt sie sehr fest.
»Du kommst natürlich mit, mein Liebling. Mit dem, was du schon gelernt hast, kannst du die Nebenwirkungen der Chemo sicher auf ein Minimum reduzieren.«
»Darauf würde ich nicht wetten«, wendet Hadé ein. »Die Medizin der Weißen ist zu stark und zu zerstörerisch. Sind Sie außerdem wirklich sicher, Laurie, dass Abou Ihnen nach Europa folgen könnte?«
»Ich werde alles daransetzen.«
Doch tief in ihrem Innern weiß Laurie, dass sie nicht viel tun kann. Europas Grenzen sind verschlossen und verriegelt. Der Limes, der das Mittelmeer in zwei Hälften teilt, ist ebenso unüberwindbar wie die Plasmabarriere einer Enklave. Europa ist unendlich stolz darauf, die Einwanderungsrate auf null gedrückt zu haben. Moussa war einer der Letzten, die zum Studium zugelassen wurden, und als er nach Burkina Faso zurückkehrte, war ihm bewusst, dass es eine Rückkehr für immer war. Abou auf legale Weise nach Europa mitzunehmen würde einen so langen und so schwierigen Kleinkrieg bedeuten, dass Laurie wahrscheinlich sterben würde, ehe auch nur eine geringe Hoffnung auf ein Einreisevisum bestünde. Nein, realistisch betrachtet sähe es so aus, dass sie allein nach Europa zurückkehren müsste.
Abou verlieren oder Hadé verlieren ... Es gibt nur diese Alternative.
Die alte Heilerin nickt lächelnd, als hätte sie Lauries Gedanken mitverfolgt.
»Da ist noch etwas, das ich Ihnen bisher noch nicht gesagt habe.«
»Was denn?«, begehrt Laurie auf. »Habe ich vielleicht auch noch Aids?«
»Nein. Sie sind schwanger.«
»Was? Aber wie ... Ich habe meine Monatsblutung noch nicht gehabt ...«
»Die werden Sie auch nicht bekommen.«
»Ist das wahr, Großmutter?« Abous Lächeln trocknet seine Tränen. »Sie ist schwanger? Von mir?«
»Natürlich von dir, Dummkopf!« Hadé wendet sich wieder der jungen Frau zu, die am Stamm der Tamarinde lehnt. »Wenn Sie eine Chemo- oder Gentherapie machen, muss der Fötus natürlich abgetrieben werden. Eine solche Behandlung und werdendes Leben schließen einander aus.«
Das ist zu viel für Laurie. Sie vergräbt den Kopf in den Händen. Erst Krebs und dann auch noch schwanger ... Bis zur Stunde hat sie den Gedanken an ein eigenes Kind immer verdrängt. Was hätte es für eine Zukunft? In welcher Art von Welt würde es leben - oder überleben - müssen? Einige Forscher gehen inzwischen davon aus, dass die Menschheit keine hundert Jahre mehr überlebt, weil die Erde der Venus immer ähnlicher wird. Es wäre absolut unverantwortlich, ein Baby in eine solche Welt zu setzen.
Abou ist natürlich ganz anderer Ansicht: Sie lieben sich, sie leben zusammen, sie bekommen ein Kind und sichern damit die Zukunft - so ist die Normalität.
»Nicht viele Kinder«, sagte er eines Abends, »nicht einmal zwei - ein einziges genügt. Wenn es niemanden mehr gibt, der nach uns kommt, wozu leben wir dann? Was wäre das Ziel?«
Laurie konnte erklären, so viel sie wollte - die Klimaerwärmung, der Venuseffekt, die unsichere Zukunft der Menschheit -, Abou blieb verbohrt.
»Die Afrikaner sind an Hitze gewöhnt und wissen, wie man in der Wüste überlebt. Sie werden es überstehen.«
Nun ja, eine Generation mehr könnte man ihnen vielleicht zugestehen. Aber irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo nicht einmal mehr die Skorpione die Hitze aushalten werden. Und dann ein Kind? Nein danke.
Dabei blieb es schließlich, weil sie
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