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Ödland - Thriller

Ödland - Thriller

Titel: Ödland - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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stinkende Unterlage zu organisieren, allerdings ohne Decke. Gestern hat er Moses in der Nähe des Zauns wiedergefunden. Um sein zerschmettertes Köpfchen surrten dicke Fliegen. Ob es ein Unfall oder die pure Lust am Töten war, würde Rudy wohl nie erfahren. Es war ähnlich wie bei Aneke und Kristin: Er würde nie wissen, was wirklich passiert war. Aber zumindest konnte er Moses begraben und um ihn trauern. Er beerdigte ihn am Zaun und wünschte ihm fröhliche Jagdzüge im Katzenparadies.
    Rudy betritt die Drehscheibe durch eine schmale Metalltür an der Seite des Gebäudes - für die 10000 Lagerinsassen stehen entgegen allen Sicherheitsbestimmungen gerade einmal zwei Zugänge zur Verfügung - und befindet sich sofort mitten in dem nach Schweiß, Dreck, Fäkalien, verfaultem Wasser und verschimmelten Abfällen stinkenden Menschengewühl. Auf der oberen Etage sind die Ausdünstungen der zusammengepferchten Körper noch durchdringender, und während der Nacht werden zu allem Überfluss auch noch die Ventilatoren abgeschaltet.
    Das Innere des Gebäudes wird bis 22 Uhr von grellen Xenonröhren ausgeleuchtet, die unter der Decke angebracht sind und von Generatoren gespeist werden. Natürlich ist es damit im Zwischengeschoss taghell, während auf der unteren Ebene gerade einmal ein Viertel des Lichtes ankommt. Dieser Mangel im Konzept führt dazu, dass die Bewohner des Erdgeschosses auf jede nur mögliche Weise für Beleuchtung sorgen; die Ansammlung von Taschen- und anderen Lampen, Kerzen und Lichtquellen aus allem nur denkbaren, brennbaren Material produziert einen dicken, erstickenden Smog, der an den Wänden emporsteigt und nach und nach das gesamte Gebäude durchdringt.
    Rudy atmet in der noch relativ sauberen Außenluft ein letztes Mal durch, ehe er sich zu der nach oben führenden Metalltreppe aufmacht. Der Weg gestaltet sich umso gefährlicher, als er den rechten Fuß kaum aufsetzen kann. Zwar ist es noch nicht spät, doch die meisten Flüchtlinge sind bereits im Haus, weil sie fürchten, ihre Matratze und ihre Habseligkeiten könnten den nächtlichen Raubzügen zum Opfer fallen. Rudy schlängelt sich mehr schlecht als recht durch, steigt über Körper, strauchelt, fällt und zieht eine Flut von Beleidigungen und Flüchen hinter sich her. Schonungslos wird er herumgestoßen, jemand tritt auf seinen lädierten Fuß. Er schreit vor Schmerz auf, doch das interessiert niemanden. Die enge Wendeltreppe zu erklimmen erweist sich als weitere, schwierige Bewährungsprobe, die Rudy nur mit zusammengebissenen Zähnen und viel Wut im Bauch meistert. Sollte jemand seine Matratze gestohlen haben, müsste der sich warm anziehen!
    Die Matratze ist noch an Ort und Stelle, angebunden an das Geländer, wie er sie verlassen hat. Aber sie ist besetzt.
    Rudy ballt die Fäuste. Trotz seines schlechten Zustands ist er zum Äußersten bereit. Es macht ihm nichts mehr aus, sich für seine Schlafgelegenheit zu prügeln; er hat sogar den Eindruck, dass seine Wut die Schmerzen vermindert. Der Typ auf der Matratze sieht ihn kommen und rollt sofort auf das Nebenbett. Es ist Rudys Bettnachbar, ein großer, etwas weichlich wirkender Kerl mit Glatze und Brille, der immer ein wenig wie ein geprügelter Hund dreinblickt. Er ist Holländer, heißt Nils, stammt aus Hoorn und ist erst seit gestern in der Drehscheibe. Aus unerfindlichen Gründen scheint er Rudy vom ersten Augenblick an ins Herz geschlossen zu haben.
    »Ich habe dir deinen Platz freigehalten«, lächelt Nils, als erwarte er dafür Streicheleinheiten.
    »Danke.«
    Endlich darf Rudy auf seiner Pritsche zusammensinken. Schmerzlich verzieht er das Gesicht.
    »Du siehst ganz schön kaputt aus!«
    »Die haben mir meine Bomberjacke geklaut.«
    Mühsam versucht er, eine bequemere, weniger schmerzhafte Stellung zu finden, ehe er nach seiner Trinkwasserflasche tastet, die er in einer öffentlichen Toilette in der Stadt frisch gefüllt hat. Das Wasser dort ist besser als das aufbereitete Brauchwasser, das im Lager in Zisternen gespeichert wird. Nils reicht ihm die Flasche. Sie ist fast leer, doch Rudy hat nicht mehr die Kraft, sich darüber aufzuregen. Er trinkt den Rest des Wassers und lässt sich stöhnend auf das Lager zurücksinken. Sein ganzer Körper schmerzt. Es scheint immer schlimmer zu werden.
    »Hast du vielleicht ein Aspirin für mich? Oder irgendein anderes Schmerzmittel?«
    Nils schüttelt mit ernsthaft betroffener Miene den Kopf.
    »Wenn du magst, kann ich dich massieren. Vielleicht

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