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Ödland - Thriller

Ödland - Thriller

Titel: Ödland - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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eine Scheibe altbackenes Brot -, bemerkt er eine gewisse Unruhe. Rufe und Diskussionen werden laut. Die Menge ist in Bewegung und drängt sich um die Generatoren. Immer mehr Menschen kommen hinzu. Rudy gibt seiner Neugier nach. Auch er möchte gern wissen, was da los ist, allerdings traut er sich mit seinem geschwollenen Fuß nicht mitten ins Getümmel und kann daher nicht erkennen, was die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zieht.
    »Was ist denn da los?«, erkundigt er sich bei den Umstehenden.
    »Scheint, als ob sich einer hätte abmurksen lassen«, antwortet ein großer Schwarzer.
    »Außerdem hat ihm jemand eine Flasche in den Arsch gesteckt«, setzt sein Kumpel fröhlich hinzu.
    Sie prusten vor Lachen und tauschen Zoten in einer afrikanischen Sprache aus. Die Menge wird von vier bewaffneten Gangstervisagen in der beigefarbenen Uniform von Safe & Secure auseinandergedrängt. Das Bundesland hat den Sicherheitsdienst, der im Grunde nichts anderes ist als eine private Miliz, zum Schutz der Sicherheit im Lager angeheuert; natürlich nur von acht Uhr abends bis acht Uhr morgens. Rudy heftet sich an ihre Fersen und schafft es bis in die Nähe der Leiche.
    Der Mann liegt nackt und bleich auf dem Bauch vor der ehemaligen Verladerampe. In seinem Anus steckt der Hals einer Rheinweinflasche mit einer zusammengerollten Botschaft. Sein Körper ist von unzähligen Dolchstichen zerfetzt und umgeben von einer riesigen Blutlache. Vermutlich hat er lange leiden müssen, ehe der Tod eintrat.
    Es ist nicht der erste Mord im Lager, doch gemessen an der Zahl der Diebstähle, Vergewaltigungen und Prügeleien sind unnatürliche Todesarten eher selten. Die meisten Todesfälle hier sind eher auf die unhygienischen Zustände, Entbehrungen, unsaubere Drogen und schlecht oder gar nicht kurierte Krankheiten zurückzuführen. Wenn jemand umgebracht wird, dann meistens diskret und außerhalb der Lagergrenzen. In diesem Fall jedoch wollte man offensichtlich ein Exempel statuieren.
    Die Milizionäre von Safe & Secure legen die Leiche auf eine mitgebrachte Trage. Und jetzt erkennt Rudy den Mann. Es ist sein Bettnachbar Nils. Beim Aufwachen war Nils nicht da, und Rudy fühlte sich in gewisser Weise erleichtert, dass er nicht schon am frühen Morgen den traurigen Hundeblick ertragen musste. Wahrscheinlich ist der Holländer zur Toilette oder Luft schnappen gegangen - auf jeden Fall aber ist er seinem Mörder in die Arme gelaufen.
    Während zwei der Milizionäre den Toten abtransportieren, kennzeichnet der dritte den Fundort der Leiche mit fluoreszierender Sprühfarbe, und der vierte schüttelt die Flasche mit dem blutbesudelten Hals, um an das zusammengerollte Stück Papier zu kommen. Doch es gelingt ihm erst mithilfe eines von der Erde aufgelesenen Zweigs, die Nachricht aus der Flasche zu holen. Er entrollt sie und liest sie mit zweideutigem Gesichtsausdruck.
    »Und?«, ertönt ein Ruf aus der Menge, die nur auf diesen Augenblick gewartet hat.
    »Was steht da?«
    »Lesen Sie vor!«
    »Ach, das ist nur Blödsinn«, wehrt der Milizionär ab.
    »Nun machen Sie schon!«
    »Jetzt lesen Sie endlich, verdammt!«
    »Wir wollen wissen, was da steht!«
    Der Milizionär sieht seinen Kollegen an, als wolle er sich seiner Zustimmung versichern, doch der zuckt nur die Schultern. Daraufhin rollt er den Zettel wieder auseinander.
    »›Wir wollen hier keine Schwulen‹«, liest er leise. »Unterschrift: NWB. Das ist alles.«
    Wie ein Lauffeuer macht der Satz die Runde. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von Pfeifen und Buhrufen bis hin zu Applaus und Freudengeheul und sorgen sehr schnell dafür, dass die neugierige Eintracht der Menge in sich zusammenfällt. Rudy ahnt, dass es nicht lange dauern wird, ehe die ersten Fäuste fliegen, und hinkt eilig davon.
    Der Neue Weiße Block ist eine Neonazibewegung, die etwa zehn Jahre zuvor in den großen Ballungszentren Deutschlands entstanden ist und für eine übertriebene Rassehygiene und die vorbehaltlose Vorherrschaft der arischen Rasse eintritt. Sie ist extrem gewalttätig, lehnt es grundsätzlich ab, auf legale Weise politischen Einfluss zu nehmen, und verbreitet ihre Ideen lieber durch Mordanschläge und Attentate auf ethnische Minderheiten wie Türken, Schwarze oder Araber und deren bevorzugte Aufenthaltsorte. Auch Juden und Homosexuelle stehen auf ihrer schwarzen Liste. Zwar ist der NWB in ganz Deutschland verboten, doch wird die Befolgung des Verbots je nach Bundesland und Durchschlagkraft der

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