Öl!
bevorstehenden Anlass passendes Kleid, deshalb hatte sie sich von ihrem Mann im Ford in die Stadt fahren lassen und einen Teil des voraussichtlichen Ölsegens für ein Abendkleid aus gelbem Satin ausgegeben. Jetzt war sie verlegen, weil es zu knapp war, sowohl oben, wo Arme und Busen hervorquollen, als auch unten, wo ihre dicken Waden in einem bestickten Nichts von Seidenstrümpfen steckten. So etwas trage man zurzeit «in diesen Kreisen», hatte die Verkäuferin ihr versichert; und Mrs Groarty war wild entschlossen, «diesen Kreisen» anzugehören.
Das Haus war in den Tagen des Immobilienbooms von einer ziemlich wohlhabenden Familie im konventionellen Bungalowstil erbaut und später mit Verlust verkauft worden; Mrs Groarty hatte sich wegen des wunderbaren Wohnzimmers darauf gestürzt. Sie hatten all ihre Ersparnisse in die Baranzahlung gesteckt und tilgten die Restschuld mit dreißig Dollar im Monat. Da sie eine Besitzurkunde besaßen und immer pünktlich zahlten, konnte ihnen nichts passieren.
Wer die Schwelle des Hauses überschritt, war erst einmal von Glanz geblendet, von einer fantastisch schimmernden, noch nie da gewesenen Holzlackierung. Um die Wirkung zu erhöhen, hatte der Maler in dem Bestreben, eine Eichenmaserung vorzutäuschen, den Lack wellenförmig aufgetragen. Es waren bestimmt Zehntausende von Linien, jede einzelne davon mit schwänzelndem Pinsel gezogen. Der Kamin bestand aus vielen bunten, hochglanzpolierten und juwelengleich funkelnden Steinen. Das Eindrucksvollste aber war im Hintergrund des Raums eine Holztreppe mit einer ebenfalls glänzenden und wellenförmig bemalten Balustrade. Diese Treppe stieg sanft an und beschrieb eine Kurve, dann kam ein Absatz mit einer Topfpalme. Selbstverständlich nahm man an, dass dies eine Treppe war wie alle anderen, dazu da, in den ersten Stock zu führen. Womöglich hatte man das Haus der Groartys schon hundertmal betreten und es bei Tag und bei Nacht gesehen, bis einem endlich auffiel, dass da etwas nicht stimmte; und plötzlich, in einer Mußestunde draußen vor dem Haus, wurde einem schlagartig klar, dass das Haus der Groartys ein durchgängiges Flachdach hatte und an keiner Stelle einen ersten Stock aufwies. Daraufhin ging man wieder hinein, beflügelt von frischer, boshafter Neugier, beäugte prüfend Treppe samt Treppenabsatz und bemerkte, dass sie nirgendwo hinführte. Ihr einziger Daseinszweck war ihre Schönheit.
Mrs Groarty stand am Tisch in der Mitte des Wohnzimmers und erwartete die Ankunft ihrer Gäste. Auf dem Tisch, direkt vor einer Vase mit einem Strauß Rosen, lag deutlich sichtbar unter der elektrischen Lampe ein hübsches, in blaues Leinen gebundenes und mit goldenen Lettern bedrucktes Buch: «Leitfaden für Damen. Ein praktisches Handbuch für das vornehme Leben». Es war das einzige Buch im Hause Groarty und befand sich erst seit zwei Tagen hier; ein kluger Warenhausverkäufer hatte der künftigen Ölbaronin nach dem Erwerb des Satinkleids auch noch dieses Sonderangebot aus der Literaturabteilung ans Herz gelegt. Mrs Groarty hatte sich den Band in einer ruhigen Minute angesehen und präsentierte ihn nun zum Beweis ihrer Kultiviertheit.
Als Erstes traf die Witwe Murchey ein; sie hatte es nicht weit, sie wohnte mit ihren zwei Kindern in einem kleinen Bungalow am anderen Ende des Blocks. Sie war zart und schüchtern und trug schwarze Pulswärmer. Sie geriet vor Entzücken über Mrs Groartys Kleid außer sich und gratulierte ihr zu dem Glück, dass sie am Südhang des Berges wohnte, wo man schöne Kleider tragen konnte. Auf der Nordseite, wo der Wind das Öl hingeweht hatte, ruinierte man sich die Schuhe, wenn man aus dem Haus ging. Manche Leute wagten noch immer nicht, den Küchenherd einzuheizen, aus Angst vor einer Explosion.
Dann kamen Mr und Mrs Walter Black und ihr erwachsener Sohn, die Eigentümer des südwestlichen Eckgrundstücks; sie waren Immobilienmakler in der Stadt. Mr Black, ein Herr von mitteilsamem Wesen, trug einen karierten Anzug und ein nützliches goldenes Maskottchen an der Uhrkette auf seiner ausladenden Vorderfront vor sich her. Die ebenfalls ausladende Mrs Black besaß zu Hause Kleider, die nicht weniger gut waren als das von Mrs Groarty, aber ihr Auftreten machte deutlich, dass sie diese nicht anzog, wenn sie auf so ein Kohläckerchen ging. Ihnen folgte der Zimmermann Mr Dumpery, der ein Häuschen hinter den Groartys besaß, an der Eldorado Road auf der anderen Seite des Blocks. Mr Dumpery war ein stiller
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