Öland
Schotterpiste. Sie ist menschenleer, eingerahmt von zugewachsenen Gräben und der Alvar, die sich
dahinter erstreckt.
Gunnar lässt den Volvo ausrollen und hält an. Die beiden
Männer auf den Vordersitzen drehen sich zu Nils um.
»So«, sagt Gunnar mit ernster Miene. »Wir haben Sie nach
Stenvik gebracht, und jetzt werden Sie Ihren Schatz beim Opferhügel ausgraben, einverstanden?«
»Ich will erst meine Mutter sehen!«, erwidert Nils und sieht
Gunnar fest in die Augen.
»Vera läuft uns schon nicht weg, Nils«, sagt er. »Sie kann
noch eine Weile warten. Außerdem ist es besser so, dann ist
es nämlich dunkel, wenn wir Sie nach Hause fahren.«
»Wir teilen uns die Steine«, fordert Nils.
»Selbstverständlich. Aber erst müssen wir sie haben.«
Nils sieht aus dem Seitenfenster. Der Nebel ist mittlerweile
sehr dicht, bald wird die Dämmerung hereinbrechen.
Er nickt. Er wird den beiden die Hälfte der Edelsteine abgeben, dann sind sie quitt.
»Wir brauchen Werkzeug zum Graben«, sagt er leise.
»Natürlich. Wir haben Spaten und Hacke im Kofferraum«,
antwortet Gunnar und fährt weiter. »Wir haben an alles gedacht. Sie müssen sich keine Sorgen machen.«
Aber Nils kann sich nicht entspannen. Er ist allein mit den
zwei fremden Männern, genau wie der Småländer es am
Strand von Costa Rica war. Der Unterschied ist nur, dass der
Småländer seinen neuen Freunden vertraute – das tut Nils
nicht.
Gunnar hält nicht am Straßenrand, sondern bremst an
einem kleinen Durchbruch in der Steinmauer. Sie verlassen
die Zufahrtsstraße.
Langsam rollen sie in die Alvar hinein, diese flache Welt
aus Gras.
Nils dreht sich um, aber hinter dem Wagen schließt sich
der Nebel. Die Straße, die in sein Heimatdorf führt, ist nicht
mehr zu erkennen.
30
S chweigend und aufrecht saß Gerlof auf dem Beifahrersitz
neben Gunnar Ljunger auf dem Weg in die Einöde südlich
von Marnäs. Auf seine vorsichtigen Gesprächsversuche
hatte Ljunger nicht reagiert. Gerlof konnte nur langsam den
Wintermantel aufknöpfen und ausziehen, weil die Hitze im
Wagen tropische Temperaturen erreicht hatte. Vielleicht
hätte er die Klimaanlage auf seiner Seite sogar regulieren
können, aber er wusste nicht, wie. Alles schien elektronisch
gesteuert zu werden, und Gunnar machte keine Anstalten,
ihm zu helfen.
Sie hatten mittlerweile die Ostküste der Insel erreicht. Der
Weg, den sie nahmen, befand sich auf einem etwa halbmeterhohen und einige Meter breiten Wall, der sich quer durch die
flache Landschaft zog. Gerlof wusste, wo sie waren. Hier war
früher die Eisenbahnstrecke durch die Alvar verlaufen, bevor
die staatliche Eisenbahngesellschaft den Verkehr eingestellt
hatte.
Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor fünf.
»Ich glaube, ich muss zurück, Gunnar«, sagte er leise. »Die
fragen sich im Altersheim sonst, wo ich bin.«
Ljunger nickte.
»Das werden sie vielleicht sogar tun«, erwiderte er, »aber
sie werden bestimmt nicht hier draußen suchen, oder?«
Der drohende Ton in seiner Stimme war so unüberhörbar,dass Gerlof sich abwandte und heimlich am Türgriff zog,
aber die Beifahrertür war verschlossen. Ljunger musste sie
mit einer Fernbedienung verriegelt haben.
»Gunnar, ich will jetzt aussteigen.« Er versuchte so energisch zu klingen wie der Kapitän, der er einmal gewesen war.
»Das darfst du auch gleich«, sagte Ljunger nur und fuhr
weiter.
Sie rollten über ein altes, rostiges Bodengitter in einem
Durchbruch zwischen zwei Steinmauern. Dahinter öffnete
sich der Blick auf die Ostsee. Das Meer sah grau und kalt aus.
»Warum tust du das, Gunnar?«, fragte Gerlof.
»Das war gar nicht geplant«, antwortete Ljunger ihm. »Ich
bin hinter dem Bus aus Borgholm gefahren und sah dich
aussteigen. Da war es ein Leichtes, an der nördlichen Zufahrtsstraße einzubiegen, durch Stenvik zu fahren und dich aufzusammeln.« Ljunger wurde noch langsamer und sah zu Gerlof.
»Was hast du heute bei Martin Malm gemacht, Gerlof?«
Gerlof fühlte sich ertappt, er zögerte mit einer Antwort.
»Bei Martin? Wie meinst du das?«
»John Hagman und du, du bist reingegangen, und John hat
im Auto gewartet.«
»Ja. Martin und ich haben uns ein bisschen unterhalten …
Wir sind doch beide alte Seebären«, sagte Gerlof und fragte
gleich nach: »Woher weißt du das eigentlich?«
»Ann-Britt Malm hat mich auf dem Handy angerufen, während du mit Martin über alte Zeiten
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