Öland
wird langsam dichter. Plötzlich biegt Fritiof,
ohne ein Wort der Erklärung, auf einen Parkplatz unterhalb
des Schlosses.
»So«, sagt er. »Ich habe ja schon angekündigt, dass wir noch
Gesellschaft bekommen.«
Er öffnet die Autotür und winkt.
Nils sieht hinaus, jemand kommt auf den Wagen zu: ein
Mann um die fünfzig, mit einem grauen Wollpullover, Stoffhose und glänzenden Lederschuhen bekleidet, die sehr teuer
aussehen. Er nickt Fritiof zu.
»Ihr seid spät.«
Er trägt einen Hut, den er tief ins Gesicht gezogen hat. In
der Hand hält er einen Zigarettenstummel. Er zieht ein letztes Mal an der Zigarette, wirft sie fort und sieht sich nervös
um, bevor er zum Wagen kommt.
»Nils, ich glaube, es ist besser, wenn Sie sich jetzt nach hinten setzen«, sagt Fritiof leise. »Das ist sicherer, wenn wir in
Stenvik sind.«
Er selbst steigt auch aus dem Wagen. Am Eingang zum
Parkplatz steht eine Telefonzelle, und Nils sieht Fritiof mit
schnellen Schritten darauf zueilen. Er wirft eine Münze ein
und führt ein sehr kurzes Telefonat.
Auch Nils steigt jetzt aus. Der Mann in der teuren Kleidung
sieht ihn nur an, ohne zu grüßen, und setzt sich wortlos auf
den Beifahrersitz.
Nils steigt nicht sofort wieder ein. Er geht ein paar Schritte
die Straße hinab und genießt es, sich frei auf der Insel bewegen zu können.
Seiner Insel.
Dann fährt ein Auto auf der Landstraße vorbei. Nils sieht
blasse Gesichter, die ihn durch die Windschutzscheibe anstarren. Seine Augen folgen ihnen, bis sie im Nebel verschwunden sind.
»Nun kommen Sie schon!«, ruft Fritiof verärgert hinter ihm.
Er steht schon wieder neben dem Wagen.
Nils kehrt langsam zurück, öffnet die hintere Tür und hört
den Mann auf dem Beifahrersitz leise fragen:
»Alles klar, Gunnar?«
Dann sieht er nach hinten zu Nils, nervös und gleichsam
schuldbewusst, als hätte er etwas verraten.
Der Mann, der sich stets Fritiof genannt hat, dreht den
Kopf und lacht.
»Das spielt keine Rolle mehr, wir können uns jetzt auch
mit richtigem Namen vorstellen«, sagt er. »Ich heiße Gunnar,
und das ist Martin. Und auf dem Rücksitz haben wir Nils
Kant. Wir können einander doch vertrauen, oder nicht?«
»Natürlich.«
Nils nickt und schließt die Tür.
Fritiof heißt also in Wirklichkeit Gunnar. Nils weiß, dass er
ihn früher schon einmal gesehen hat, aber er erinnert sich
nicht wo.
»Dann fahren wir mal nach Stenvik«, sagt Gunnar.
Sie verlassen Borgholm und fahren nach Norden, wo die
Landschaft Nils immer vertrauter wird. Allerdings verdichtet
sich der Nebel und verdeckt den Horizont.
Die Luft wird grau und milchig. Gunnar hat gewusst, dass
es heute Nebel geben wird, er hat fest damit gerechnet, nur
darum darf Nils zurückkehren. Was hat er sich noch ausgerechnet?
Nördlich von Köpingsvik schaltet Gunnar die Nebelscheinwerfer an und erhöht die Geschwindigkeit. Nils sieht die gelben Ortsschilder vorbeihuschen. Er kennt diese öländischen
Dörfer. Am meisten aber berührt ihn die Landschaft: die
Felder, das Wildgras, die schnurgeraden Steinmauern, die an
der Straße beginnen und sich im Nebel verlieren.
Und die Alvar, seine Alvar. Sie dehnt sich zu allen Seiten
aus – mit ihren erdschweren, graubraunen Farben und dem
unendlich weiten Himmel ist sie noch genauso groß und
schön wie in seiner Erinnerung.
Nils ist wieder zu Hause.
Niemand sagt ein Wort, nach einer Viertelstunde entdeckt
Nils endlich das Schild, auf das er die ganze Zeit gewartet
hat. STENVIK. Darunter befindet sich ein zweites Schild mit
einem großen Pfeil und der Aufschrift CAMPINGPLATZ.
Die Straße im Dorf ist asphaltiert, und Stenvik hat jetzt einen Campingplatz. Wann ist das alles gemacht worden?
Sie fahren an der Abzweigung nach Stenvik vorbei, und
Gunnar wird langsamer.
»Wir nehmen die nördliche Zufahrtsstraße«, erklärt er.
»Dort ist weniger Verkehr, und wir müssen nicht durch das
ganze Dorf fahren.«
Wenige Minuten später biegen sie an einer alten Milchbank
ab, die leer und verlassen an der Landstraße steht. Als Nils die
Bank das letzte Mal gesehen hat, war sie voller Milchkannen
von den umliegenden Bauernhöfen; jetzt ist sie moosbewachsen und kurz davor, in sich zusammenzufallen.
In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren hat sich die
Insel sehr verändert, aber wenigstens die nördliche Zufahrtsstraße nach Stenvik ist so wie in seiner Erinnerung: eine
schmale und kurvige
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