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Öland

Öland

Titel: Öland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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mussten sie mit der Suche beginnen.
    Lennart fuhr sehr langsam und hielt an jeder Bushaltestelle
     und Parkbucht an, um nichts und niemanden zu übersehen.
    »Man kann ja überhaupt nichts sehen«, murmelte Julia verzweifelt.
    Nicht, dass es viel zu sehen gegeben hätte; kein Mensch
     machte an diesem kalten und regnerischen Abend einen Spaziergang an der Landstraße. Sie sah nur dunkle Gräben und
     Büsche und dahinter fahle Baumstämme.
    Das Funkgerät rauschte erneut. Lennart hörte angespannt
     zu.
    »Der Hubschrauber nimmt Kurs auf Marnäs«, meldete er.
    Julia nickte. Er war im Grunde ihre einzige Hoffnung.
    »Sieht das Gerlof ähnlich?«, fragte Lennart nach einer Weile.
    »Was denn?«
    »Ich meine … ist er in letzter Zeit schon öfter, nun ja, unzurechnungsfähig gewesen?«
    »Nein.« Julia schüttelte energisch den Kopf. »Aber so richtig
     überraschen würde es mich auch nicht, wenn er einfach aus
     dem Bus gestiegen und losgelaufen wäre. Ich glaube, er ist oft
     sehr in seine Gedanken vertieft.«
    »Wir finden ihn«, sagte Lennart leise.
    Julia nickte.
    »Er hatte heute früh seinen Wintermantel an. Damit kann
     man es doch eine Weile aushalten, oder?«
    »Mit Mantel übersteht er die ganze Nacht, vor allem wenn
     er im Windschatten sitzt.«
    Aber in der Alvar gibt es keinen Windschatten, schoss es
     Julia durch den Kopf.

34
    G erlof! Wo ist es, Gerlof?«
    Langsam öffnete Gerlof, aus einem warmen, schönen Segeltraum gerissen, die Augen. Er blinzelte in den Regen.
    »Wie bitte?«, fragte er mit heiserer Stimme.
    Er lag auf dem Rücken am Strand, sein rechtes Bein
     schmerzte.
    Oben an der Dünenkante stand als großer Schatten vor
     dem Abendhimmel in seiner hässlichen, gelben Jacke Gunnar Ljunger.
    Stand er wirklich dort? Ja, es war kein Traum. Aber Ljunger
     lachte nicht mehr.
    »Wo ist mein Handy?«, schrie er.
    Gerlof musste schlucken, sein Mund war wie ausgedörrt,
     er konnte kaum sprechen.
    »Das habe ich versteckt«, flüsterte er.
    »Hast du jemanden angerufen?«, brüllte Ljunger.
    Gerlof schüttelte den Kopf. So viele Knöpfe, er hatte nicht
     gewusst, welchen er drücken sollte.
    »Wo ist es? Hast du damit eine Sandburg gebaut?«
     »Komm runter und such es, Gunnar«, zischte Gerlof.
    Aber Ljunger blieb stehen, und Gerlof wusste, warum. Am
     Strand würde er tiefe Spuren im Sand hinterlassen, die auch
     der Regen nicht fortspülen können würde.
    Das Handy lag in Gerlofs Hosentasche, was zwar kein besonderssoriginelles Versteck war, aber Ljunger zwang, sich
     etwas auszudenken.
    »Du bist wirklich ein harter Knochen, Gerlof«, sagte er und
     streckte sich. »Aber ich sehe, dass du gestolpert bist.«
     Gerlof hatte seine Stimme verloren. Er öffnete den Mund,
     aber es kam kein Wort heraus.
    » Und Frieden haben die Toten «, sang Ljunger mit leiser
     Stimme. » Der Tod ist streng, aber ehrlich, drum sing heisa oh ja …
     Das ist von Dan Andersson, wusstest du das? Ich liebe seine
     Lieder, auch die alten Seemannsballaden von Evert Taube.
     Vera Kant hat mir die alle vorgespielt, sie hatte viele dieser
     alten Schellackplatten.«
    »Sie hatte vor allem Land und Geld … Nur darum geht es
     hier doch.«
    Ljunger schüttelte bedeutungsvoll den Kopf.
    »Es geht um eine Vielzahl von Dingen«, dozierte er. »Um
     Land und Geld und Rache und Visionen … und um die Liebe
     zu Öland. Wie ich schon sagte, ich liebe diese Insel.«
    Gerlof sah, dass er aus seiner Jackentasche zwei Lederhandschuhe zog.
    »Ich glaube, es wird jetzt Zeit für dich einzuschlafen, lieber
     Gerlof«, sagte er feierlich. »Und wenn du das getan hast,
     werde ich mir mein Handy holen. Du hättest es nicht einstecken sollen!«
    Gerlof hatte keine Lust mehr auf Ljungers Phrasen. Hohles
     Gerede. Er sollte ihn in Ruhe lassen.
    »Es ist an der Zeit, Danke und Auf Wiedersehen zu sagen«,
     hob Ljunger erneut an. »Ich glaube, wir sollten …«
    Plötzlich verstummte er und sah sich um. Über dem Wasser ertönte ein schwaches Rauschen, das immer lauter wurde,
     als würde sich ein Sturm zusammenbrauen.
    Aus dem Rauschen wurde in kürzester Zeit ein ohrenbetäubendes Dröhnen, begleitet von einem kräftigen Wind, der
     an Gerlofs Kleidern zerrte.

    Ljunger starrte fassungslos in den Himmel.
    Auch Gerlof sah in die Wolken, über ihm kreiste ein
     Schatten.
    Ein riesiger Körper mit blinkenden Augen schwebte über
     dem Strand. Die obere Hälfte des laut ratternden Wesens
     war dunkel, die untere, hell erleuchtet, trug

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