Öland
noch Zeit«, erwiderte Julia und betrat den
kleinen Eingangsflur hinter der Küche.
Lennart war kein Pedant, aber sehr ordentlich. Sein Haus
war in weitaus besserem Zustand als Julias winzige Wohnung
in Göteborg. Die Ausgaben der Ölands-Posten steckten ordentlich in einem
hölzernen Zeitungshalter, der an der Wand
hing. Lediglich ein paar Ausgaben der Zeitschrift Svensk Polis
verrieten, welchem Beruf er nachging. Ansonsten stand
kaum mehr herum, außer ein paar Angeln im Flur, zwei oder
drei Topfpflanzen in jedem Fenster und einer beachtlichen
Sammlung von Kochbüchern über dem Herd.
Lennart ging ins Wohnzimmer und machte die Lampen an.
»Wollen wir zum Strand gehen?«, rief er. »Ehe es zu dunkel
wird. Wir können ja einen Regenschirm mitnehmen.«
»Gern, wenn ich meine Krücke mitnehmen darf?«
Lennart lachte.
»Wir gehen ganz vorsichtig. Von der Landzunge kann man
bei klarem Wetter Böda sehen«, sagte er. »Das ist eine wunderschöne Bucht mit großem Sandstrand.«
Jetzt lachte Julia.
»Ich weiß, was Böda ist.«
»Oh!« Er schaute um die Ecke. »Ich habe ganz vergessen,
dass du von hier bist. Wollen wir los?«
Sie nickte und warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Viertel
nach fünf.
»Darf ich vorher kurz telefonieren?«, fragte sie.
»Ja, natürlich.«
»Ich will nur Astrid anrufen und ihr sagen, wo ich bin«, erklärte sie.
»Das Telefon steht auf dem Küchentisch.«
Nach dem fünften Klingelton meldete sich Astrid.
»Hallo, Julia, ich war hinterm Haus. Wo bist du?«
»Ich bin in Marnäs beziehungsweise nördlich von Marnäs,
bei Lennart Henriksson. Wir haben …«
»Ist Gerlof auch bei euch?«
»Nein, ich denke, er ist in seiner Wohnanlage.«
»Nein, da ist er eben nicht«, sagte Astrid. »Diese Boel hat
mich angerufen und gefragt, wo er steckt. Er ist heute früh
mit John Hagman losgefahren und bis jetzt noch nicht zurückgekommen. Aber ich mache mir eigentlich keine Sorgen
um ihn, du?«
»Dann ist er sicher noch mit John unterwegs«, stimmt ihr
Julia zu.
»Nein«, widersprach Astrid. »John hat Boel ja angerufen. Er
hatte Gerlof zum Bus gebracht, und dein Vater wollte ihn anrufen, wenn er zu Hause ist.«
Julia dachte nach. Gerlof durfte machen, was er wollte, es
bestand keine Gefahr, dass …
»Ich rufe mal eben Boel an«, sagte sie, obwohl sie viel lieber
mit Lennart zum Strand gehen wollte.
»Tu das«, sagte Astrid und verabschiedete sich.
Julia legte auf und wählte die Nummer des Altersheims,
aber es war besetzt.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Lennart. Er stand in der Tür
zum Flur und hatte schon sein Jacke angezogen. »Wollen wir
los? Danach machen wir uns einen Kaffee.«
Julia nickte, hatte aber eine tiefe Sorgenfalte auf der Stirn.Sie folgte ihm in den Flur und zog sich den Mantel
über.
Der Himmel war dunkel, es war noch kälter geworden. Das
Sausen des Windes in den Baumwipfeln klang nun viel bedrohlicher.
Keiner der Toten wurde bisher identifiziert , klang es
plötzlich in Julias Ohren.
Ausgerechnet jetzt musste sie an diese Schlagzeile von einem Autounfall denken, die sie in Borgholm gelesen hatte.
Sie drehte sich zu Lennart um.
»Lennart«, begann sie. »Ich weiß, dass ich mir bestimmt unnötig Sorgen mache, aber können wir ein bisschen später an
den Strand gehen und jetzt lieber erst ins Altersheim in
Marnäs fahren? Ich muss nachsehen, ob Gerlof wieder zurück ist.«
STENVIK, SEPTEMBER 1972
W elcher Schatz? Ich habe keinen beschissenen Schatz genommen«, brüllt Martin.
»Sie haben das Etui eingesteckt, als ich mich umgedreht
habe«, schreit Nils und kommt auf Martin zu.
»Welches Etui?« Martin holt seine Zigarettenschachtel heraus.
»Jetzt beruhigen wir uns alle mal wieder«, sagt Gunnar
hinter ihnen. »Wir sitzen im selben Boot.«
Er steht viel zu nahe an Nils, direkt hinter seinem Rücken.
Nils wirft einen kurzen Blick über die Schulter und fixiert
dann wieder Martin.
»Sie lügen«, sagt er und macht noch einen Schritt auf
ihn zu.
»Ich? Ich habe dich nach Hause geholt, du Idiot!«, schreit
Martin wütend. »Gunnar und ich haben das alles organisiert
und dich in meinem Schiff zurückgeholt. Meinetwegen hättest du da unten versauern können!«
»Ich kenne Sie doch überhaupt nicht«, zischt Nils, und in
seinem Kopf ruft es: Mein Schatz. Mein Stenvik.
»Ach ja?« Martin zündet sich eine Zigarette an. »Ich scheiß
drauf, wen Sie kennen oder nicht.«
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