Seelentausch - Ein dunkles Familiengeheimnis (German Edition)
Prolog
Die Kreatur saß in der Höhle und kaute lustlos an dem verwesenden Hautlappen eines alten Schädels herum. Es war ein prächtiger Tag, helles Licht fiel durch den breiten Eingang. Wie herrlich wäre es, das schöne Wetter in vollen Zügen genießen zu können? Wie viele Jahrhunderte war es her, seit ihr Panzer zuletzt von den Strahlen der Sonne gewärmt wurde? Ohne lange darüber nachzudenken, warf die Kreatur den menschlichen Kopf in die Ecke und krabbelte auf die Höhlenöffnung zu.
Es war wie immer. Nachdem sie den Durchgang passiert hatte und bereits den staubigen Sand unter ihren Beinpaaren spürte, stießen ihre Klauen unvermittelt auf ein unsichtbares Hindernis. So, als wäre eine gewaltige Glaskuppel über den Felsen gelegt worden, die man weder sehen noch riechen konnte. Aber spüren konnte die Kreatur die Barriere. Sie fühlte sich kalt und glatt an, und wenn ihre Klauen zu lange an dem geheimnisvollen Material schabten, wurden die Körperteile taub und taten nach einigen Stunden schrecklich weh.
Frustriert schlich die Kreatur zurück in die stickige Dunkelheit, nahm den stinkenden Schädel wieder auf und riss ein erträgliches Stück des grau gewordenen, verfaulten Fleisches ab. Ihre Augen begannen hellrot zu leuchten. Während sie die verschimmelte Haut ins Maul stopfte, schmetterte sie den Kopf mit Wucht gegen die schwarze Felswand vor ihr. Der poröse Knochen zerbarst augenblicklich in Hunderte von Teilen und rieselte wie ein monströser Hagelsturm auf den Boden.
Dennoch brachte ihr die Zerstörung des menschlichen Körperteils nicht die erhoffte Befriedigung. Wenn nicht bald etwas geschah, würde sie hier drinnen noch den Verstand verlieren. Dabei war doch alles schon aufs Beste arrangiert.
Der Junge spürte bereits die Bedrohung in seinem Kopf, merkte, dass es in seinem Körper nicht mit rechten Dingen zuging.
Die Kreatur verzog das mit rasiermesserscharfen Zähnen besetzte Maul zu einem furchterregenden Grinsen. Nicht mehr lange, und die Barriere würde keine Macht mehr ausüben können.
Dann war sie endlich frei.
1
Die gegnerische Mannschaft hatte vorher die Kornflasche kreisen lassen. Peter hatte gedacht, dass sich das negativ auf ihr Spiel auswirken würde, doch das Gegenteil war der Fall. Die zu einem Großteil aus grau melierten Herren bestehende Truppe des Nachbardorfes lief zu wahrer Höchstform auf. Zur Pause stand es bereits 3:1, und der Ehrentreffer für die Heimmannschaft, den Peter höchstselbst erzielt hatte, war eher aufgrund einer Unachtsamkeit des gegnerischen Torwarts geglückt, als auf eine gelungene Kombination des eigenen Teams zurückzuführen.
»Die sind vielleicht gut«, schnaufte sein Sturmkollege, als er zum wiederholten Mal einen Ball verloren geben musste.
»Sind ja auch alle in der freiwilligen Feuerwehr«, antwortete Peter und trabte gemächlich zurück.
»Was hat das damit zu tun?«
»Wann brennt es in deren Dorf schon mal? Das letzte Feuer brach kurz nach dem Krieg aus, wenn man den Erzählungen glauben schenken darf.«
»Und das heißt?«
»Das heißt, dass die Meute sich nicht nur während des Fußballtrainings fit hält, sondern auch bei den wöchentlichen Treffen der Feuerwehr.«
»Also Wettbewerbsverzerrung.«
»Könnte man so sehen.«
»Das müssen wir melden.«
Peter wollte etwas erwidern, als sich plötzlich eine frostige Kälte in seinem Körper ausbreitete. Seine Beine wurden schwach, und für einen unwirklichen Moment überkam ihn das Gefühl, in der Luft zu schweben.
Es wurde dunkel.
Und im nächsten Augenblick wieder hell.
Eisige Temperaturen ließen seinen Atem stocken. Die Äste der Tannen waren schneebedeckt, und als er einen Schritt nach vorn machte, versanken seine schweren Stiefel bis zu den Knöcheln im feinen Pulverschnee. Es musste gerade erst geschneit haben.
Völlig verwirrt drehte Peter sich um die eigene Achse. Wo war der Fußballplatz, wo befanden sich seine Kameraden? Merkwürdigerweise verblasste das Bild des grünen Rasenplatzes so schnell, als handelte es sich dabei nur um eine schöne Erinnerung.
Und, wer konnte es schon sagen, vielleicht war es ja auch genau das: eine schöne Erinnerung?
Der Stoff seines Mantels fühlte sich rau und einfach an. Keine besonders gute Qualität. Trotzdem schien das Material die Kälte gut abzuhalten. Auf seinem Kopf drückte es, und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er einen Helm aufhatte.
Stirnrunzelnd senkte Peter den Blick und sah die Uniform unter dem geöffneten
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