Öland
und trieb ihn weiter. Er ahnte, woher das Geräusch kam, und
hatte recht, es war eine leere Plastiktüte.
Oder vielmehr eine Mülltüte, groß, schwarz und halb im
Sand begraben. Wahrscheinlich war sie von einem der
Schiffe, die auf der Ostsee fuhren, über Bord geworfen worden. Am Strand lag noch anderer Müll: ein alter Milchkarton,
eine grüne Glasflasche und eine rostige Blechdose. Es war
traurig, dass die Leute einfach ihren Müll über Bord warfen –
aber wenn Gerlof überleben wollte, ging das nur mit diesem
Müllsack. Wenn es ihm gelingen würde, ihn aus dem Sand
auszugraben, ein Loch für den Kopf zu machen und ihn sich
überzuziehen, würde er ihm helfen, seine Körperwärme über
Nacht zu halten.
Das war ein guter Plan für einen so unterkühlten Kopf.
Das größte Problem war, wie er zum Strand hinabkommen
sollte, denn die Wiese endete an einer steilen Kante, die von
den Wellen in den Sand gefressen worden war.
Vor zwanzig Jahren oder vielleicht auch nur vor zehn wäre
Gerlof einfach hinuntergestiegen, ohne darüber nachzudenken – jetzt vertraute er seinem Gleichgewichtssinn nicht
mehr.
Gerlof holte tief Luft und machte, den Stock ausgestreckt,
einen großen Schritt nach vorn.
Aber er hatte kein Glück. Der Stock versank tief im feuchten Sand.
Gerlof stürzte nach vorn, ließ den Stock viel zu spät los und
hörte ihn mit einem lauten Knacken brechen.
Er fiel und versuchte noch vergeblich, sich mit der rechten
Hand abzustützen. Als er aufschlug, war der Sand so hart wie
ein Steinfußboden, und ihm wurde die Luft aus den Lungen
gepresst.
Gerlof blieb regungslos liegen, er spürte, dass er sich etwas
gebrochen hatte. Sich den Müllsack zu besorgen war ein guter Plan gewesen, aber jetzt würde er nicht mehr aufstehen
können.
Er schloss ergeben die Augen. Nicht einmal der Klang eines
schnurrenden Automotors veranlasste ihn dazu, sie wieder
zu öffnen.
Ihn interessierte das alles nicht mehr.
33
D as Funkgerät neben dem Lenkrad in Lennarts Streifenwagen hatte geschwiegen, bis er die Zentrale in Kalmar alarmiert hatte. Seitdem spuckte es kratzende Laute und Stimmfetzen aus, die Julia nicht verstand.
Lennart hörte dagegen konzentriert zu.
»Die Hundestaffeln verzögern sich«, übersetzte er und sah
in die Dunkelheit hinaus, »aber ein Hubschrauber wird bald
da sein.«
»Wann?«, fragte Julia ungeduldig.
»Sie werden in wenigen Minuten in Kalmar starten«, erklärte er ihr und fügte hinzu: »Die haben eine Wärmebildkamera.«
»Wärmebildkamera?«, wiederholte Julia.
»Eine Kamera, die menschliche Körperwärme erfassen
kann. Vor allem bei Dunkelheit ist das von Vorteil«, erläuterte er.
»Gut«, stieß Julia hervor, aber es beruhigte sie nicht übermäßig.
Sie starrte unentwegt aus dem Beifahrerfenster, doch es
war einfach zu dunkel, um etwas sehen zu können. Es war
erst halb sieben und schon stockfinster. Sie konnte sich kaum
orientieren.
Kurz zuvor, in der Wohnanlage, hatte Boel zunächst gereizt
und ärgerlich darauf reagiert, dass Gerlof noch nicht wieder
zurück war.
»Muss man ihn in Zukunft einsperren?«, stöhnte sie.
Doch sie hatte sich schnell von Julias Sorge anstecken lassen und kurzerhand aus dem Personal einen Suchtrupp zusammengestellt, der sich zu Fuß aufmachte, um zu überprüfen, ob Gerlof eventuell an einer der Bushaltestellen in der
Umgebung saß.
Lennart bewahrte Ruhe, ohne den Ernst der Lage zu verkennen. Über Polizeifunk hatte er den wachhabenden Polizisten im Revier von Borgholm alarmiert.
Nach einigen Telefonaten war es ihm gelungen, den Busfahrer ausfindig zu machen, der an der Endhaltestelle seiner
Tour in Byxelkrock gewendet hatte und schon wieder in Borgholm war. Er konnte sich kaum an Gerlof erinnern, wusste
aber zumindest, dass er an ein paar Haltestellen auf der Landstraße nach Marnäs sowie an mindestens drei Haltestellen
zwischen Marnäs und Byxelkrock gehalten hatte.
Es war kurz nach sechs, als Julia und Lennart die Wohnanlage verließen. Gleichzeitig machten sich zwei weitere Autos
mit Mitarbeitern des Altersheims auf den Weg, um nach Gerlof zu suchen. Boel blieb auf der Station, um ans Telefon gehen zu können.
Es regnete unaufhörlich. Julia und Lennart fuhren nach
Süden, obwohl man nicht sicher sein konnte, dass Gerlof dort
ausgestiegen war. Möglicherweise war er auch im Bus eingeschlafen und an einer späteren Haltstelle ausgestiegen. Aber
irgendwo
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