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Öland

Öland

Titel: Öland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Dann zog sie ihren Mantel über, stieg aus und atmete die
     kühle Luft ein.
    Es war nicht totenstill, denn der Wind heulte im trockenen
     Laub der Bäume, und im Hintergrund hörte man das etwas
     dumpfere Rauschen der Wellen am Strand. Ansonsten kein
     Laut: keine Vögel, keine Stimmen, kein Verkehr.
    Das Mädchen in der Bäckerei hatte recht gehabt: Man hatte
     das Gefühl, ans Ende der Welt gefahren zu sein, in die Gebirgsregionen Nordschwedens.
    Der Weg zu Gerlofs Häuschen war kurz und endete an einem schmiedeeisernen Tor in einer Steinmauer. Julia öffnete
     das leise quietschende Tor. Sie ging in den Garten.
    Das braun gestrichene kleine Haus mit weißen Kanten sah
     nicht so verlassen aus wie die anderen Häuser in Stenvik.
     Würde Gerlof allerdings noch darin wohnen, hätte er niemals zugelassen, dass das Gras so hoch wuchs oder Kiefernnadeln und Laub den Boden bedeckten. Ihr Vater hatte seine
     Arbeit immer sehr genau genommen und still und systematisch geschuftet, bis alles erledigt war.
    Sie waren ein hart arbeitendes Paar, er und Julias Mutter.
     Besonders Ella, die ihr Leben lang Hausfrau geblieben war,
     wirkte bisweilen wie eine Besucherin aus dem 19. Jahrhundert, aus einer armen Zeit, in der es auf der Insel weder Zeit
     noch Kraft für Frohsinn oder Träume gab, als jedes Stück Küchenrolle getrocknet und mehrmals benutzt werden musste.
    Ella war klein, schweigsam und verbissen gewesen, ihr Reich
     war die Küche. Julia und Lena hatten ab und zu eine Ohrfeige
     von ihr bekommen, umarmt wurden sie dagegen nie. Und
     Gerlof war die meiste Zeit ihrer Kindheit auf See gewesen.
    Im Garten war es vollkommen still. In Julias Kindheit hatte
     auf dem Rasen eine grün gestrichene, meterhohe Wasserpumpe mit einem großen Hahn und einem schön geschwungenen Hebel gestanden. Aber die Pumpe gab es nicht mehr.
     An ihrem Standort lag jetzt ein Abflussdeckel aus Beton.
    Östlich des Häuschens war eine Steinmauer, dahinter
     begann die Alvar. Sie reichte bis zum Horizont. Wenn die
     Bäume dort nicht stehen würden, hätte Julia die Kirche von
     Marnäs wie eine schwarze Pfeilspitze aufragen sehen können; dort war sie getauft worden.
    Julia kehrte der Alvar den Rücken zu und betrachtete das
     Häuschen. Sie umrundete ein Spalier mit wildem Wein und
     stieg ein paar rosafarbene Kalksteinstufen hoch, die ihr als
     Kind riesengroß erschienen waren. Die Stufen endeten auf einer kleinen Veranda mit einer Holztür.
    Julia drückte den Griff herunter, aber die Tür war wie erwartet abgeschlossen.
    Es war merkwürdig, dass es das Haus noch gab, fand Julia.
     Es war so viel geschehen in der Welt, seit Jens verschwunden
     war. Neue Länder waren entstanden, andere hatten aufgehört
     zu existieren. Stenvik war den Großteil des Jahres wie leer gefegt von Einwohnern – doch dieses Haus, das Jens damals verlassen hatte, stand noch immer.
    Julia setzte sich auf die Treppe und seufzte. Sie starrte auf
     einen kleinen Steinhaufen, den Gerlof vor dem Haus aufgetürmt hatte. Obenauf lag ein zerfurchter, grauschwarzer
     Stein, von dem er behauptet hatte, er sei wie eine zischende
     Kugel vom Himmel gefallen und hätte damals einen Krater
     in den Steinbruch geschlagen, als Gerlofs Vater und Großvater dort Ende des 19. Jahrhunderts gearbeitet hatten. Der

     uralteBesucher aus dem Weltall war weiß gestreift von Vogeldreck.
    Jens musste an jenem Tag an dem Stein aus dem Weltall
     vorbeigegangen sein. Er hatte sich die Sandalen angezogen,
     das Haus verlassen, in dem seine Oma schlief, und hatte die
     Treppe in den Garten hinunter genommen. Das allein war
     sicher. Wohin er dann gegangen war und warum, wusste
     niemand.
    Als sie am Abend vom Festland zurückkam, hatte sie erwartet, dass Jens auf sie zustürmte. Stattdessen warteten
     zwei Polizisten, eine weinende Ella und ein wie betäubter
     Gerlof mit zusammengebissenen Zähnen auf sie.
    Julia hatte das Bedürfnis, eine Rotweinflasche zu holen, in
     einem Zug zu leeren und sich in Träumen zu verlieren, bis
     die Dunkelheit kam – aber sie bezwang den Impuls.
    Kulissen. Der leere Garten wirkte wie eine Theaterkulisse,
     wie dieses ganze Dorf, aber die letzten Szenen waren bereits
     vor vielen Jahren gespielt worden und alle nach Hause gegangen.
    Sie saß auf den Stufen, bis sich ein neues Geräusch in das
     Rauschen des Meeres mischte. Ein Motor.
    Es war ein altes und müdes Auto, das langsam die Hauptstraße entlangbrummte.
    Doch das Geräusch verlor sich nicht in der

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