Öland
angerufen und zu sich ins
Büro gebeten. Er fragte mich ganz direkt, ob ich Interesse daran hätte, Nils Kant aufzuspüren, ihn nach Öland zurückzubringen und meinen Vater zu rächen.«
»Was hast du ihm geantwortet?«
»Ich habe ihm gesagt, dass ich großes Interesse hätte«,
sagte Lennart. »Ich würde ihm helfen, und er würde mir helfen. Es war ein Geschäft!«
»Endete dieses Geschäft vor ungefähr fünf Tagen auf dem
Polizeirevier in Marnäs?«, fragte Gerlof leise. »Musstest du befürchten, dass er bei einem Verhör unangenehme Dinge über
dich erzählen würde? Wer hat die Pistole gehalten, als sie abgefeuert wurde und Gunnar traf, Lennart?«
Lennarts Blick ruhte wieder auf seinen Händen auf dem
Stuhlrücken.
»Das spielt doch jetzt keine Rolle mehr«, erwiderte er.
»Ein Geschäft«, wiederholte Julia flüsternd.
Sie sah aus dem Fenster. Sie sah in die rötlich schimmernde Abenddämmerung, doch ihre Gedanken waren ganz
woanders.
Sie musste daran denken, dass Martin Malm Geld für sein
erstes Containerschiff bekommen und Gunnar Ljunger günstige Grundstücke erworben hatte, die er für hohe Summen
wieder verkauft hatte. Und dass Lennart Henriksson, in den
sie sich verliebt hatte, am Ende seine Rache an Nils Kant bekommen hatte.
Und das alles auf Kosten des Lebens ihres Sohnes.
»Es war eine Abmachung«, erklärte Lennart. »Ich sollte
Ljunger und Malm bei ein paar Sachen helfen. Und sie sind
mir entgegengekommen.«
»Dass heißt, ihr habt euch an jenem nebligen Tag in der
Alvar getroffen?«, fragte Gerlof.
»Ljunger hatte mich morgens angerufen und vorgeschlagen, dass wir uns am Opferhügel treffen. Als ich ankam, war
das Chaos schon perfekt. Martin Malm lag am Boden und blutete. Kant hatte ihn mit dem Spaten erwischt. Davon hat sich
Malm nie wieder erholt, ein paar Tage später hatte er seine
erste Hirnblutung.«
»Und Jens?«, warf Julia leise ein.
»Es war ein furchtbarer Unfall, Julia. Ich habe ihn nicht
gesehen.« Lennarts Stimme war belegt. »Wir fanden seinen
Körper, nachdem Kant tot war. Er hatte nicht rechtzeitig wegspringen können, als ich Kant mit dem Auto rammte.«
Er verstummte.
»Wo habt ihr ihn begraben?«, fragte Gerlof.
»Er liegt auf dem Friedhof, in Kants Grab«, flüsterte Lennart. Er sprach wie jemand, den man nötigte, einen alten Albtraumnochmals zu durchleben. »Wir haben die beiden Leichen im Dunkeln hingebracht. Damit wir hören, wenn jemand kommt, haben wir eine kleine Glocke an das Friedhofstor gehängt. Dann haben wir die halbe Nacht gegraben,
Malm, Ljunger und ich. Gegraben und gegraben. Es war einfach schrecklich.«
Julia schloss die Augen.
Ihr fiel wieder ein, was Lambert gesehen hatte: Ein Mann
voller Hass hat Jens in der Alvar umgebracht. Danach hat er
den Jungen in ein Grab an einer Steinmauer gelegt.
Sie holte tief Luft.
»Aber bevor ihr Jens begraben habt, bist du nach Stenvik
gekommen und hast geholfen, nach ihm zu suchen. Du hast
die Suche nach dem Jungen geleitet, den du selber getötet
hattest … meinen Sohn.« Julia seufzte schwer. »Und dann bist
du losgefahren, um angeblich in der Alvar zu suchen, dabei
wolltest du nur deine Spuren verwischen.«
Lennart nickte hilflos.
»Aber es ist mir nicht leichtgefallen, Julia, bitte glaube mir,
es ist mir nicht leichtgefallen. Und als du jetzt nach Öland
gekommen bist, da wollte ich dir so gerne helfen … Ich wollte
versuchen zu vergessen, was vor zwanzig Jahren passiert ist,
und ich wollte auch dir helfen, es zu vergessen. Ich hatte gehofft, es würde mir gelingen.«
»Dann liegt Nils Kant also tatsächlich in seinem Sarg?«,
hakte Gerlof nach.
Lennart nickte.
»Ich habe seit vielen Jahren nicht mehr mit Gunnar darüber gesprochen. Und ich hatte auch keine Ahnung, was er mit
dir vorhatte, bitte, Gerlof, das musst du mir glauben.«
Er ließ den Stuhlrücken los und drehte sich langsam um.
Julia fand, dass er jetzt wieder so müde wirkte wie bei ihrer
ersten Begegnung am Steinbruch nach Ernsts Tod. Oder vielleicht sogar noch müder.
Als er an der Tür war, drehte er sich ein letztes Mal um.
»Ich kann nur sagen … dass es ein besseres Gefühl war,
Ljunger zu erschießen, als sich an Nils Kant zu rächen.«
Er öffnete die Tür und verließ das Zimmer.
Gerlof atmete hörbar aus. Keiner applaudierte.
Er sah seine Tochter an. »Es tut mir so leid, Julia«, flüsterte
er. »So leid.«
Sie nickte, und ihre Blicke
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