Öland
Streifen des Festlands zu.
Es hat Stunden gedauert, bis er die andere Seite erreicht
hat, aber zum Glück sind keine Schiffe in der Nähe gewesen, und niemand scheint ihn bemerkt zu haben. Als er
schließlich Småland erreicht hat, nackt und mit unterkühlten Beinen, hat er nur noch die Kraft gehabt, seine Habseligkeiten aus der Tonne zu nehmen und unter einen Baum
zu kriechen, wo er augenblicklich in einen tiefen Schlaf gefallen ist.
Jetzt ist er hellwach, obwohl es noch früh am Morgen ist.
Nils richtet sich auf, seine Beine schmerzen nach der langen
Schwimmstrecke, aber er muss weiter. Er befindet sich in der
Nähe Kalmars und muss so schnell wie möglich die Stadt hinter sich lassen. In ihr wird es von Polizisten nur so wimmeln,
die nach ihm suchen.
Seine Kleider sind mittlerweile getrocknet. Er zieht Hemd,
Pullover, Strümpfe und Stiefel an und steckt die Brieftasche
in die Hose. Mit dem Geld seiner Mutter muss er sorgsam
umgehen, denn ohne es kann er sich nicht lange versteckt
halten.
Seine Husqvarna hat er nicht mehr – sie liegt auf dem Grund
des Sunds. Ungefähr auf halber Strecke zwischen Insel und
Festland hat er sie aus der Tonne gefischt und ins Wasser fallen lassen.
Er hat zwar ohnehin keine Patronen mehr gehabt, aberNils würde die vertraute Schwere des Gewehrs in seiner Hand
vermissen.
Er muss an seinen zerfetzten Rucksack denken und vermisst auch ihn. Ab jetzt ist er gezwungen, sein Gepäck in den
Hosentaschen oder in einem kleinen Beutel, den er aus einem Taschentuch geknotet hat, unterzubringen.
Er geht in der Morgensonne nach Norden. Er weiß, wo er
hinmuss, aber es ist ein weiter Weg, der den Großteil des
Tages in Anspruch nehmen wird. Er hält sich in der Nähe der
Küste, vermeidet alle Dörfer. Die Straßen, die durch die Wälder führen, überquert er zügig. Zwischen den Bäumen fühlt
er sich sicherer. Zweimal kreuzen Rehe seinen Weg, die so
leise sind, dass ihr plötzlicher Anblick ihn erschreckt. Wenn
sich Menschen nähern, hört er es auf mehrere hundert Meter
Entfernung, ihnen kann er immer ausweichen.
Nils weiß, wo Ramneby liegt, denn er ist ein paar Mal dort
gewesen. Er muss den Ort zum Glück nicht durchqueren,
denn das Sägewerk seines Onkels August liegt südlich davon.
Schon von Weitem kann er das Heulen der Sägen hören,
und als er näher kommt, steigt ihm der vertraute Duft von
frisch geschnittenem Holz vermischt mit dem Geruch von
Tang in die Nase.
Nils schleicht im Schutz einer großen Scheune voller Bretter vorsichtig aus dem Wald. Er ist hier zwar schon einige
Male gewesen, erinnert sich aber nicht mehr an den Weg
zum Büro. Außerdem kann er hier nicht einfach so herumlaufen. Ein paar Hundert Meter vom Sägewerk entfernt liegt
das Wohnhaus seines Onkels, aber dorthin wagt sich Nils
nicht. Dort wimmelt es von Kindern, Fahrern, Hausangestellten – Leuten, die ihn bei der Polizei verraten könnten. Er muss
neben der Scheune in Deckung gehen – in einem dicken Fliederbusch mit schweren, duftenden Blüten.
Nils’ Uhr ist stehen geblieben, als er über den Sund geschwommen ist, aber er ist sicher, dass mindestens eine halbeStunde vergangen ist, bis die ersten Personen erscheinen. Es
sind drei Arbeiter, die lachend vorbeilaufen, ohne Nils zu bemerken.
Er wartet.
Wenige Minuten später kommt eine weitere Person vorbei.
Es ist ein Junge, vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt,
aber fast so groß wie Nils. Er trägt eine Mütze auf dem Kopf,
die er tief in die Augen gezogen hat, seine Hände hat er tief in
den Taschen seiner ölverschmierten Hose vergraben.
»He!«, ruft Nils hinter dem Busch.
Es ist zu leise gewesen, der Junge reagiert nicht, sondern
läuft weiter.
»He, du da mit der Mütze!«
Der Junge bleibt stehen. Er sieht sich misstrauisch um, und
Nils kommt vorsichtig aus der Deckung des Busches. Er winkt
ihm zu.
»Hier drüben.«
Der Junge dreht sich um, kommt ein paar Schritte auf den
Busch zu und sieht Nils an.
»Arbeitest du im Sägewerk?«, fragt Nils.
Der Junge nickt stolz.
»Das ist mein erster Sommer.«
Seine Stimme ist im Stimmbruch, er spricht mit småländischem Akzent.
»Sehr gut«, sagt Nils. Er strengt sich an, ruhig und freundlich zu klingen. »Ich brauche deine Hilfe. Ich möchte, dass du
August Kant für mich holst. Ich muss mit ihm reden.«
»Den Direktor?«, fragt der Junge überrascht.
»Ja, Direktor Kant«, wiederholt Nils. Er
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