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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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dass die
Gestalt Wirklichkeit war, dann ging er weiter, bis er Einzelheiten
unterscheiden konnte. Die Gestalt kauerte so reglos am Meeresufer,
als hätte sie sich in einen Traum verirrt, während sie
nichts ahnend die Fauna in einem der Gezeitentümpel
beobachtete.
    Es war Clavain. Scorpio hätte ihn auch dann sofort erkannt,
wenn er die Insel für unbewohnt gehalten hätte.
    Das Schwein atmete auf. Wenigstens war sein Freund noch am Leben.
Das zählte zunächst einmal als Sieg, was immer dieser Tag
noch bringen mochte.
    Als er auf Rufweite herangekommen war, spürte Clavain seine
Gegenwart und sah sich um. Nach Scorpios Landung war ein heftiger
Wind aufgekommen, der dem alten Mann das lange weiße Haar in
das leicht gerötete Gesicht wehte. Der sonst so stets sauber
gestutzte Bart war in der Zwischenzeit ebenfalls gewachsen und wirkte
ungepflegt. Die dürre Gestalt steckte in einem schwarzen Anzug
und hatte ein dunkles Tuch oder einen Mantel um die Schultern.
Clavain stand in unbequemer Haltung da, die Knie gebeugt, in den
Hüften abknickend, als hätte er nur kurz innegehalten.
    Scorpio war überzeugt, dass er seit Stunden so auf das Meer
hinausstarrte.
    »Nevil«, sagte er.
    Clavain bewegte die Lippen, aber das Zischen der Brandung
übertönte seine Stimme.
    »Ich bin es – Scorpio«, rief ihm das Schwein
zu.
    Wieder setzte Clavain zum Sprechen an. Seine Stimme klang wie
eingerostet, kaum mehr als ein Flüstern. »Ich sagte doch,
ich will nicht, dass du hierher kommst.«
    »Ich weiß.« Scorpio war näher getreten. Immer
wieder wehte der Wind das Haar in diese Greisenaugen, die so tief in
ihren Höhlen lagen und so trostlos ins Nichts starrten.
»Ich weiß, und wir haben deine Bitte immerhin sechs Monate
lang respektiert.«
    »Sechs Monate?« Das war fast ein Lächeln. »So
lange ist es schon her?«
    »Sechs Monate und eine Woche, wenn du es genau wissen
willst.«
    »Das hätte ich nicht gedacht. Mir kommt es vor, als
wäre es erst gestern gewesen.« Clavain drehte den Kopf und
schaute wieder aufs Meer hinaus. Die Kopfhaut unter dem
schütteren weißen Haar hatte den gleichen rosaroten
Farbton wie Scorpios Schwarte.
    »Manchmal kommt es mir auch sehr viel länger vor«,
fuhr er fort. »So als hätte ich nie etwas anderes getan,
als meine Tage hier zu verbringen. Manchmal ist es, als gäbe es
auf dem ganzen Planeten keine Menschenseele außer
mir.«
    »Wir sind aber noch da«, sagte Scorpio. »Alle
einhundertsiebzigtausend. Und wir brauchen dich nach wie
vor.«
    »Ich hatte ausdrücklich verlangt, nicht gestört zu
werden.«
    »Außer in wichtigen Fällen. So war es
vereinbart, Nevil.«
    Clavain stand quälend langsam auf. Er war immer
größer gewesen als Scorpio, doch jetzt wirkte die hagere
Gestalt wie eine flüchtig an den Himmel geworfene Skizze, die
Arme und Beine nur mit schrägen Strichen andeutete.
    Scorpio betrachtete Clavains Hände, die so feingliedrig waren
wie die eines Chirurgen. Oder vielleicht eines Vernehmungsbeamten.
Die langen Fingernägel kratzten mit einem Geräusch
über den feuchten schwarzen Stoff der Hose, das dem Schwein
durch Mark und Bein ging.
    »Und?«
    »Wir haben etwas gefunden«, sagte Scorpio. »Wir
wissen nicht genau, was es ist, oder wer es geschickt hat, aber wir
glauben, dass es aus dem Weltraum kommt. Und wir vermuten, dass
jemand darin sein könnte.«

 
Zwei
Lichtschiff Gnostische Himmelfahrt,
interstellarer Weltraum

2615
     
     
    Generalmedikus Grelier schritt durch die kreisrunden, grün
erleuchteten Flure der Körperzuchtanlage.
    Er summte und pfiff vor sich hin. Hier war er in seinem Element.
Inmitten von brummenden Maschinen und halb fertigen Menschen
fühlte er sich am wohlsten. Ein erwartungsvoller Schauer
überfiel ihn, wenn er an das Sonnensystem dachte, das vor ihnen
lag. Von diesem System hing so viel ab – nicht unbedingt
für ihn selbst, aber doch für seinen Nebenbuhler um die
Gunst der Königin. Grelier suchte sich vorzustellen, wie sie es
aufnehmen würde, wenn Quaiche ein weiteres Mal versagte. Wie er
Königin Jasmina kannte, sicherlich nicht allzu gnädig.
    Der Gedanke entlocke ihm ein Lächeln. Seltsam war, dass ein
System, auf dem so viele Hoffnungen ruhten, noch immer keinen Namen
hatte; niemand hatte sich bisher um die abgelegene Sonne und ihre
Brut von unscheinbaren Planeten gekümmert. Was hätte man
auch für eine Veranlassung gehabt? Sicherlich war das System in
den Astrogations-Datenbanken der Gnostische Himmelfahrt und so
gut wie aller

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