Offenbarung
anderen,
älteren Bewusstseinen. Waren darunter vielleicht auch
Inselbewohner, die das lebende Gedächtnis des Meeres über
so viele Jahre konserviert hatte?
Jetzt ist die Mole vollends von den leuchtenden Flecken umringt.
Bevor sie mit dem Transitfahrstuhl herunterkam, hatte sie einen
Vorsatz gefasst: Sie wird schwimmen, und sie wird dem Ozean ihr
Bewusstsein öffnen. Sie wird alles offenbaren, was sie
weiß: Alles, was dieser Welt widerfahren wird, wenn die
Terraformer kommen. Niemand kann vorhersehen, was geschieht, wenn die
Blattlausmaschinen und der Fremdorganismus eines Schiebermeeres
aufeinander treffen, niemand kann vorhersehen, wer von beiden den
anderen assimilieren wird. Ein solches Experiment steht noch aus.
Vielleicht absorbiert der Ozean die Maschinen wie schon so vieles
andere und macht sie unschädlich. Vielleicht halten sich die
gegnerischen Kräfte im Gleichgewicht. Oder diese Welt wird wie
Dutzende vor ihr in einer Orgie der Gewalt zerlegt und neu
zusammengesetzt.
Was dann aus den Bewusstseinen wird, die im Ozean gelöst
sind, weiß sie nicht. Sicherlich ahnen sie bereits, was ihnen
bevorsteht. Die Panik, als die menschliche Bevölkerung ihre
Fluchtpläne schmiedete, kann ihnen nicht völlig entgangen
sein. Aber sie nimmt nicht an, dass jemand nur deshalb geschwommen
ist, um dieser Welt mitzuteilen, was kommen wird. Vielleicht spielt
es keine Rolle. Oder aber es hängt buchstäblich alles davon
ab.
Vermutlich ist es eine Frage der Höflichkeit.
Schließlich hat sie alles zu verantworten, was hier geschieht
und geschehen wird.
Sie erteilt den Schmetterlingen einen neuen Befehl. Die
weiße Rüstung löst sich auf, die mechanischen
Insekten sammeln sich in einer Wolke über ihren Kopf. Dort
verharren sie, ohne sich allzu weit zu entfernen. Dennoch steht sie
nun nackt auf der Mole.
Sie sieht sich kurz nach ihrem Beschützer um. Seine kindliche
Gestalt zeichnet sich vor dem milchig trüben Himmel ab. Auf
seinen Krückstock gestützt, schaut er in die Ferne. Er
bewegt ungeduldig den Kopf, er möchte weg von hier. Sie kann es
ihm nicht verdenken.
Sie setzt sich an den Rand der Mole. Das Wasser beginnt
erwartungsvoll zu brodeln. Sie sieht Gestalten darin: fantastische
Formen. Sie wird ein Weilchen schwimmen und ihr Bewusstsein
öffnen. Sie weiß nicht, wie lange es dauern wird, aber sie
wird nicht gehen, bevor sie so weit ist. Sollte ihr Beschützer
nicht so lange warten – sie glaubt nicht daran, aber sie kann es
nicht völlig ausschließen –, dann muss sie eben ihre
Pläne ändern.
Sie lässt sich ins Meer gleiten und versinkt in grün
leuchtenden Erinnerungen an Ararat.
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