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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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nicht gesagt, was wir eigentlich
hier wollen«, sagte Vasko.
    »Das werden Sie noch früh genug erfahren. Zunächst
werden Sie mal dem Alten begegnen. Finden Sie das nicht aufregend
genug?«
    »Es macht mir eher Angst.«
    »Er kann einem auch Angst machen, aber lassen Sie sich nicht
einschüchtern. Er hält nichts von
Demutsgebärden.«
    Das Boot zu ziehen, war anstrengend gewesen, aber nachdem sie zehn
Minuten gegangen waren, hatte Scorpio sich wieder erholt. Der Pickel
wurde zu einer Kuppel, die auf dem Boden stand, und entpuppte sich
schließlich als aufblasbares Zelt, gehalten von Leinen und
Heringen, die in den Fels geschlagen waren. Am unteren Rand wies das
weiße Gewebe Salzwasserflecken in verschiedenen
Grüntönen auf. An mehreren Stellen war es notdürftig
geflickt. Ringsum lagen Muschelstücke auf dem Boden oder lehnten
schräg an der Zeltwand. Jemand hatte sie wie Treibholz aus dem
Meer geholt und bewusst künstlerisch arrangiert.
    »Sie sagten doch vorhin, Clavain sei gar nicht am anderen
Ende der Welt, Sir?«, fragte Vasko.
    »Ja?«
    »Warum konnte man uns nicht einfach mitteilen, dass er sich
stattdessen hier aufhält?«
    »Weil es für diesen Aufenthalt einen bestimmten Grund
gibt«, antwortete Scorpio.
    Sie gingen um das Zelt herum, bis sie den luftdichten Eingang
fanden. Daneben stand ein summender Kasten, der Energie erzeugte, den
Innendruck aufrechterhielt und den Bewohner mit Wärme und
anderen Annehmlichkeiten versorgte.
    Scorpio fuhr mit dem Finger über den scharfen Rand einer
Muschelscherbe, die offensichtlich aus einem größeren
Stück herausgeschnitten worden war. »Sieht so aus, als
hätte er Strandgut gesammelt.«
    Vasko zeigte auf die äußere Tür, die bereits offen
stand. »Sieht aber nicht so aus, als wäre jemand zu
Hause.«
    Scorpio öffnete die innere Tür. Ein Hochbett mit
ordentlich zusammengefalteten Decken und ein kleiner Klapptisch. Ein
Ofen und ein Nahrungssynthesizer. Eine Karaffe mit gefiltertem Wasser
und ein Karton mit Lebensmitteln. Eine Luftpumpe, die noch lief, auf
dem Tisch etliche kleinere Muschelstücke.
    »Man kann nicht feststellen, wann er zum letzten Mal hier
war«, bemerkte Vasko.
    Scorpio schüttelte den Kopf. »Er ist wahrscheinlich noch
nicht lange weg, allenfalls ein bis zwei Stunden.«
    Vasko suchte nach dem Beweis, auf den Scorpio seine Behauptung
stützte. Er würde ihn nicht finden: Schweine wussten seit
langem, dass den Standardmenschen der feine Geruchssinn fehlte, den
sie selbst von ihren Vorfahren geerbt hatten. Und sie hatten –
auf die harte Tour – gelernt, dass die Menschen daran nicht gern
erinnert wurden.
    Sie verließen das Zelt und verschlossen die innere Tür
hinter sich, wie sie sie vorgefunden hatten.
    »Was nun?«, fragte Vasko.
    Scorpio reichte ihm den zweiten Armbandkommunikator, den er am
Handgelenk getragen hatte. Das Gerät war bereits auf eine
abhörsichere Frequenz eingestellt, sie brauchten also nicht zu
befürchten, dass jemand von den anderen Inseln mithörte.
»Sie können mit den Dingern umgehen?«
    »Ich denke schon. Was genau soll ich damit
anfangen?«
    »Sie warten hier, bis ich zurückkomme. Ich gehe davon
aus, dass ich Clavain mitbringe. Aber falls er vor mir hier
auftauchen sollte, sagen Sie ihm, wer Sie sind und wer Sie geschickt
hat. Dann rufen Sie mich an und fragen Clavain, ob er mit mir
sprechen möchte. Kapiert?«
    »Und wenn Sie nicht wiederkommen?«
    »Dann melden Sie sich am besten bei Blood.«
    Vasko betastete das Armband. »Das hört sich so an, als
machten Sie sich Sorgen um seinen Geisteszustand, Sir. Glauben Sie,
er könnte gefährlich sein?«
    »Das hoffe ich sogar«, antwortete Scorpio, »denn
wenn er nicht gefährlich ist, nützt er uns nicht
viel.« Er klopfte dem jungen Mann auf die Schulter. »Sie
warten hier, während ich die Insel umrunde. Es dauert
höchstens eine Stunde. Wahrscheinlich finde ich ihn irgendwo am
Meer.«
     
    Scorpio breitete seine Stummelarme aus, um das Gleichgewicht zu
halten, und schritt über die flachen, felsigen Strände der
Insel. Ob er dabei unbeholfen oder gar komisch aussah, war ihm
egal.
    Als er vor sich im immer dichter werdenden Abendnebel eine Gestalt
zu erkennen glaubte, wurde er langsamer und kniff die Augen zusammen.
Er sah nicht mehr so gut wie damals in seiner Jugend in Chasm City.
Einerseits hoffte er, die Erscheinung möge sich als Clavain
herausstellen. Doch zugleich wünschte er sich, sie wäre nur
ein Hirngespinst, eine optische Täuschung, entstanden

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