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Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen

Titel: Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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Fettberge, die zu Beginn eines Kampfes wie gefährliche Urtiere einander gegenüberhocken, sich drohend hin und her wiegen, nach undurchschaubaren Regeln mit Reis um sich werfen, schließlich aufeinander prallen und schnaufend und grunzend versuchen, sich gegenseitig aus dem Ring zu stoßen, begleitet vom aufgeregten Keckern des japanischen Kommentators. Eine merkwürdige Faszination geht von diesen Wesen aus; sie sind keine richtigen Männer, eher zu groß geratene Babys, monströs und rührend zugleich, und doch behände und von erstaunlicher Eleganz.
    Völlig begeistert war ich von einem Film über Sumo-Ringerinnen, den ich zufällig sah: lauter Frauen, die so aussahen, wie ich mich immer gefühlt hatte, und die stolz waren auf ihren Körper, anstatt ihn zu verstecken. Sie versöhnten mich mit der dicken Frau in mir.
    Nach den Schwangerschaften veränderte sich meine Selbstwahrnehmung: Heute fühle ich mich so, wie ich aussehe; die dicke Frau in mir ist verschwunden. Aber ich habe immer noch ein fast zärtliches Gefühl für Dicke, weil ich so lange zu ihnen gehört habe. Und Sumo-Ringerinnen finde ich immer noch toll. Vielleicht war ich in meinem früheren Leben ja mal eine.

Von Müttern und Monstern
    Mütter sind im Trend. Wir lesen Artikel über die »Glamour«-Mütter (Madonna, Beckham, Schiffer, Klum, Paltrow), wir erfahren, dass die jungen Mütter von heute sich den Spaß am Mutter-Sein nicht verderben lassen, wir sehen Mode für werdende und gewordene Mütter und Fragebögen mit Titeln wie: Sind Sie noch Mutter oder schon wieder Frau?
    Überall wird darüber diskutiert, was Mütter leisten sollen, was eine gute Mutter ist und welche Fehler Mütter machen können. Ob sie zu Hause bleiben und sich ausschließlich um Haushalt und Nachwuchs kümmern, ob sie berufstätig sind (egal, ob zur Selbstverwirklichung oder zum Erwerb des Lebensunterhalts), eines ist klar: Was immer sie machen, sie machen es falsch.
    Vollzeit-Mütter werden als trutschige Muttermonster dargestellt, die ihre Brut mit ständigem Geglucke reif für den Psychotherapeuten machen, und berufstätige Mütter sind herzlose Rabenmütter, die das Wohl ihrer Kinder ehrgeizigem Karrierestreben opfern. Der Kinderwunsch an sich ist schon verdächtig, denn welcher denkende Mensch kann guten Gewissens in diese Welt Kinder setzen wollen? Und sogar Frauen, die gar keine Mütter sind oder werden wollen, machen es falsch: Sie verweigern der Gesellschaft egoistisch die ach so dringend benötigten Rentenzahler. Dass viele von ihnen vielleicht gerne Kinder hätten, aus den verschiedensten Gründen aber keine kriegen können, wird als mildernder Umstand nicht anerkannt.
    Mütter tragen in den Augen der Gesellschaft die Verantwortung für alles. Für die Gesundheit (»Sie geben Ihrem Kind Fertignahrung? Wie können Sie nur!«). Für die Schulleistungen (»Ihre Tochter ist schlecht in Mathe? Dann müssen Sie eben jeden Tag zwei Stunden mit ihr lernen!«). Für das Sozialverhalten (»Ihr Kind ist aggressiv? Nun ja, Sie sind ja auch alleinerziehend!«) und für das spätere Lebensglück (»Ihr Sohn ist schwul? Kein Wunder, bei dieser dominanten Mutter!«).
    Trotz größtmöglicher Verantwortung unterstellt man den Müttern von heute größtmögliche Inkompetenz. Wie sonst erklärt sich die Flut von Ratgebern, die zum Thema Mutter-Sein den Markt überschwemmt? Von der glücklichen Schwangerschaft übers richtige Gebären zum erfolgreichen Stillen, von der Vollwerternährung über Baby-Yoga bis zur Frage, wie Mütter es schaffen, dass ihre Kinder sie nicht schaffen – kein Themenfeld rund um die Mutterschaft, das nicht von selbst ernannten Experten beackert würde.
    Heute Mutter zu sein bedeutet vor allem: Termindruck (kinderärztliche Untersuchungen 1–8, musikalische Früherziehung, Spielgruppe, Lerntherapie, kieferorthopädische Behandlung, Sportverein, Ballett, Klavierstunde …) und Schuldgefühle (koche ich gesund, verbringe ich genügend quality time mit meinem Kind, fördere ich es richtig, wird es von seiner Schule ausreichend auf den Existenzkampf vorbereitet, hat es genügend soziale Kontakte, ist es vielleicht doch hochbegabt/übermotorisch/unterfordert, leidet es an ADS, ADHS, Legasthenie oder Dyskalkulie …?).
    Manchmal fragt man sich, wie unsere Mütter uns überhaupt groß gekriegt haben, ohne die Unterstützung der deutschen Still-Liga, ohne die Elternbriefe vom Jugendamt, ohne biologisch einwandfreie Bionahrung und ohne TÜV-geprüfte Kindersitze

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