Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen
im Auto.
Bei dem Gedanken, dass sie in ihrer Ahnungslosigkeit auf uns bedauernswerte Versuchskarnickel losgelassen wurden, dass sie ohne Ratgeberbibliothek die schier unlösbare Aufgabe bewältigt haben, ein Baby aufzuziehen und zu pflegen, es durch Kindergarten-und Schulzeit zu bringen und zu einem halbwegs brauchbaren Erwachsenen zu machen, lässt uns mit offenem Mund staunen.
Da muss doch irgendwas sein, was alle Mütter seit Anbeginn der Menschheit in sich tragen, so etwas wie … ja, nennen wir es: Instinkt. Ein inneres Gefühl, das uns sagt, was zu tun ist, wenn das Baby schreit. Das uns fühlen lässt, was ihm gut tut. Das uns über all die Momente hinweghilft, in denen keiner mit wissenschaftlich geprüftem Rat neben uns steht und sagt, was richtig ist. Wir sollten aufhören, uns einreden zu lassen, Mutter zu sein sei so ungefähr das Komplizierteste, was es in diesem Leben gibt, und alle anderen wüssten besser als wir, wie es funktioniert. Denn wenn unser Instinkt erst verkümmert ist, hilft uns auch das schlaueste Buch nicht mehr.
Warum in die Ferne schweifen?
Also: Ich war schon in Kanada, Amerika, Vietnam, Italien, Russland, Griechenland, Portugal und ein paar anderen europäischen Ländern, außerdem war ich auf Mauritius. In Mecklenburg-Vorpommern war ich noch nicht. Auch noch nicht in Brandenburg. Und wenn ich nicht seit ein paar Jahren mit meinen Büchern auf Lesereise ginge, würde ich vermutlich noch nicht mal Niedersachsen und das Saarland kennen.
Ich bin mit Spaghetti, Döner, Schweinefleisch süßsauer und Sushi aufgewachsen, aber noch nie habe ich eine echte Thüringer Bratwurst gegessen. Meine Generation wuchs in die Zeit des Wirtschaftswunders hinein, in der alles schick war, was exotisch daherkam. Toast Hawaii und Peking-Ente symbolisierten die Sehnsucht nach Ferne und Abenteuer unserer Eltern, während sie das Land wieder aufbauten.
In der Schule gaben wir mit den Ferienzielen an, zu denen wir im Familienurlaub reisten – Italien musste es mindestens sein, Griechenland war schon besser, die Kanarischen Inseln waren fast schon Afrika und damit Platz 1 auf der 60er-Jahre-Exotik-Skala. Mit einer Radtour durch Bayern oder einer Fahrt zur oberschwäbischen Barockstraße hätten wir uns blamiert bis auf die Knochen. Urlaub im eigenen Land war was für Rentner und Spießer, niemals, auch nicht als junge Erwachsene, wären wir auf diesen Gedanken gekommen. Nein, Urlaub, das hieß: fort, weg, so weit wie möglich. Und da uns der Osten verschlossen war (oder nur unter Schwierigkeiten zu bereisen), zog es uns eben nach Süden und Südosten. Ins südliche Europa zuerst, dann in den Orient, später nach Asien.
Und natürlich in den Westen. Amerika, zur Zeit des Vietnam-Krieges noch kritisch beäugt, wurde bald zum Traumziel. Go west war die Devise, mitten hinein ins Marlboro-Country mit seinen einfach gestrickten, aber herzlichen Bewohnern und der fantastischen Natur. Am Morgen meines 21. Geburtstages erwachte ich am Rand des Grand Canyon (wo ich verbotenerweise die Nacht im Auto geschlafen hatte), und der Anblick der in rosarote Morgensonne getauchten Felslandschaft schien mir gerade angemessen für diesen Tag. Hätte ich da vielleicht mit dem Schwarzwald vorlieb nehmen sollen?
Nach Norden, nach Skandinavien, fuhren nur die Eigenbrötler. Schnaken, schlechtes Wetter und schlechtes Essen hatten wir schließlich auch zu Hause. Dort schien es so ähnlich zu sein wie bei uns, und was wir suchten, war ja das Fremde und Andersartige, je andersartiger, desto besser. Erst, wenn aus Häusern palmgedeckte Hütten geworden waren, wenn wir nicht mehr identifizieren konnten, was auf dem Teller lag, und kein Wort der Landessprache verstanden, waren wir halbwegs zufrieden.
Als wir Kinder bekamen, war es erst mal vorbei mit den Fernreisen. Zu teuer, zu stressig, zu gefährlich.
Schließlich will man sich in den Ferien ja erholen. Und schon findet man sich zwischen Hühnern und Kühen auf einem bayerischen oder schleswig-holsteinischen Bauernhof wieder, oder, wenn die Kinder größer sind, auf einer Radtour durchs Salzburger Land. Auch ich habe letztes Jahr zum ersten Mal mit meiner Familie Sommerurlaub in Österreich gemacht, und was soll ich Ihnen sagen? Es war super! Eine kurze, stressfreie Anfahrt, wunderbares Wetter, schönste Natur, gutes Essen, moderate Preise. Und die Kinder fanden es auch toll. Die wollen nämlich gar nicht weit weg. Die wollen da hin, wo es fast so ist wie zu Hause. Das verbindet
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