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Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen

Titel: Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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die Tür öffnet sich automatisch, weil die Videoanlage schon am Gartentor unser Gesicht gescannt und als bekannt eingestuft hat.
    In nicht allzu ferner Zukunft werden wir nur noch im bequemen Sessel sitzen, vor uns einen Computer, und unser Leben steuern, ohne uns auch nur einmal erheben zu müssen (na ja, aufs Klo gehen wir noch selbst). Man stelle sich vor, wie unser Tag aussehen wird: Zack, die Kaffeemaschine legt los, das Licht im Kinderzimmer geht an, die Radionachrichten schalten sich ein, der Backofen bäckt von allein die Brötchen auf. Blöd, die Zeitung hat noch kein Empfangsteil für die Fernbedienung – vielleicht können wir ja den Hund programmieren? Ein Chip ins Halsband, und schon geht’s los!
    Kleinere Pannen bleiben natürlich nicht aus; Sohnemann hat den Pincode seines elektronischen Schulranzenschlosses vergessen, Töchterchen den Stundenplan auf ihrem Organizer gelöscht. Die verlorene Regenjacke reagiert leider nicht auf die Fernbedienung, aber demnächst gibt es Satellitenortung für Kinderklamotten, mit automatischem Rücktransport-Service.
    Im Büro angekommen bestellen wir per E-Mail unseren Kaffee und später das Mittagessen, beides kommt in einem kleinen Aufzug aus der Kantine nach oben gesaust. Den Telefonklatsch mit der Freundin führen wir per Video-Konferenz, auf die Weise können wir gleich ihre neuen Ohrringe begutachten. Und natürlich versuchen wir unablässig, per Fernsteuerung auf unsere Mitmenschen einzuwirken: Die Kinder kriegen per SMS die Aufforderung zum Klavierüben und Katzefüttern, der Ehemann wird per E-Mail an die abendliche Einladung erinnert.
    Am liebsten wäre uns, die anderen würden funktionieren wie im Computerspiel »Die Sims«, in dem die Figuren per Mausclick nach unseren Wünschen handeln. Essen, trinken, arbeiten, schlafen – alle machen, was wir wollen und wann wir es wollen. Kann doch wohl nicht mehr so lange dauern, bis die Technik das hinkriegt!
    So freue ich mich schon auf den Tag, an dem Kinder auf Knopfdruck ihre Zimmer aufräumen, Lateinvokabeln repetieren oder zu streiten aufhören. Auch manchen Gesprächspartner möchte man ja gern ausschalten wie ein schlechtes Fernsehprogramm, wenigstens ein Ton-weg-Knopf wäre schön. Beim Autofahren zuckt meine Hand nach der Delete-Taste, wenn vor mir mal wieder einer den Rekord im Langsamfahren aufstellen will, bei Elternabenden wünsche ich mir oft den Knopf zum Vorspulen.
    Die Welt als Wille und Vorstellung, Schopenhauer lässt grüßen. Fragt sich nur, was wir tun, wenn wir zu viel gelöscht, begradigt, geregelt haben, wenn’s um uns ganz ruhig und langweilig geworden ist?

Ich bin ein Sumo-Ringer
    Ich weiß, was es heißt, dick zu sein. Zwar wog ich nie mehr als 57 Kilo, aber lange fühlte ich mich, als wären es hundert. Es begann, als ich so zwölf, dreizehn war und anfing, mich für mein Aussehen und meine Wirkung auf andere Menschen (vornehmlich männlichen Geschlechts) zu interessieren. Im Spiegel sah ich ein normalgewichtiges Mädchen, aber mein »inneres Selbst« war eine dicke, unförmige Plunze, daran konnte nichts und niemand etwas ändern, weder meine ersten Erfolge bei Jungs noch das Studium einschlägiger Größe-Gewichts-Tabellen. Ich war und blieb eine »Gefühls-Dicke«.
    Wie viele Dicke kleidete ich mich in unförmige, sackartige Gewänder und versuchte nach Möglichkeit, meinen ungeliebten Körper zu verstecken. Ich hasste den Turnunterricht, Besuche im Freibad und alle sonstigen Gelegenheiten, bei denen ich mich vor anderen ausziehen sollte. Petting ging nur im Dunkeln; ich fürchtete, die Jungs könnten sich angewidert abwenden, wenn sie mich bei Licht sähen.
    Erwachsene hatten nicht das geringste Verständnis für meine Nöte. Meine Mutter lobte meine angeblich so schmale Taille, während ich nur meine gewaltigen Oberschenkel sah, die wie ionische Säulen aus der Bikinihose wuchsen. Miniröcke, Hot Pants und Shorts gehörten zu den absoluten »no gos«; neidisch blickte ich auf Mädchen mit langen, klapperdürren Beinen, die giraffenartig durchs Leben staksten und den Überblick hatten.
    Diese Überzeugung, zu den Dicken zu gehören, hielt an, bis ich schwanger wurde. Ungefähr ab dem achten Monat hatte ich endlich das Gefühl, mein äußeres Bild und mein inneres Selbst stimmten überein. Ich fühlte mich dick, ich war dick, und alles war in Ordnung.
    In dieser Zeit entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Sumoringen. Ich konnte gar nicht genug kriegen vom Anblick der gigantischen

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