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Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen

Titel: Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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meine Liebe lästig findet, ja, dass sie ihm regelrecht unangenehm und peinlich ist.
    »Fass mich nicht an!«, befiehlt er, wenn ich mich ihm in der Absicht nähere, ihn zu umarmen. »Lass mich in Ruhe!«, heißt es, wenn ich eine Unterhaltung mit ihm führen, etwas aus seinem Leben erfahren oder einfach nur bei ihm sein will.
    Gnädig lässt er mich seine Wäsche waschen und seine Mahlzeiten zubereiten, nur unwillig geht er mir zur Hand, wenn ich ihn um etwas Mithilfe bitte. Seine Freizeit plant er längst ohne mich, seine Interessen haben nichts mit meinen zu tun, seinen Freundeskreis würde er mir am liebsten gänzlich vorenthalten.
    Es gibt nur einen Moment am Tag, in dem ich ihn für mich habe, in dem er sich nicht gegen mich wehren kann, in dem ich mir einen schnellen Kuss auf seine Wange erschleiche: morgens, wenn er noch schläft, kurz bevor ich ihn wecke, damit er zur Schule gehen kann.
    Dass mein Sohn erwachsen werden und mich eines Tages verlassen würde, war mir schon in der Stunde seiner Geburt bewusst. Aber damals dachte ich, bis es so weit wäre, würden ungefähr hundert Jahre vergehen.
    Es waren nur vierzehn, und nun ist er einen halben Kopf größer als ich, trägt Schuhgröße 43 und sein Haar lang, und seine Stimme ist so tief, dass er am Telefon mit seinem Vater verwechselt wird. Mit diesem Vater teilt er nur noch eines: den Rasierapparat. Ansonsten behandelt er ihn – ebenso wie mich – voller Verachtung.
    »Du hast doch bloß Minderwertigkeitskomplexe, weil du so klein bist«, erklärte er ihm während eines Streits darüber, ob er mitten in der Woche ein Fußballspiel im Fernsehen ansehen darf, obwohl am nächsten Tag eine Schularbeit auf dem Programm steht. Und bei einem der seltenen gemeinsamen Familienabendessen, zu denen er sich noch herablässt, kontert er eine kritische Bemerkung seines Vaters mit dem Spruch: »Wieso bist du denn so frustriert, hat die Mama dich wieder nicht rangelassen?«
    Noch während ich überlege, ob ich empört sein oder mit einem Lachanfall reagieren soll, steht unser Sohn auf und verlässt den Tisch mit seinem Lieblingssatz: »Ihr seid doch einfach asozial!«
    Dass man die Pubertätszeit nur mit einer geballten Ladung Humor und der Fähigkeit, die Ohren auf Durchzug zu stellen, überlebt, kann man jedem einschlägigen Ratgeber entnehmen. Aber nirgendwo steht, wie man mit dem Schmerz fertig wird, den diese ständigen Zurückweisungen hervorrufen. Ich komme mir wirklich vor wie früher, wenn ich rettungslos in einen Jungen verliebt war, der mir unmissverständlich zu verstehen gab, dass er sich nicht die Bohne für mich interessiert.
    Ebenso hartnäckig wie aussichtslos biete ich auch meinem Sohn heute meine Liebe und Fürsorge an (»Soll ich dir einen Milchkaffe machen? – Möchtest du den Sportteil? – Hast du schon überlegt, wie du deinen Geburtstag feiern willst?«), und immer wieder lässt er mich auflaufen, mit dem fast sadistischen Vergnügen dessen, der sich bedingungslos geliebt weiß.
    Ganz plötzlich kann es dann passieren, dass er mich zärtlich umschmeichelt, mir den Arm um die Schulter legt und fragt: »Na, Mama, wie geht’s dir?« Dann weiß ich, dass allergrößtes Misstrauen angebracht ist. Dieses Verhalten entspricht ungefähr dem schmeichlerischen Um-die-Beine-Streichen unseres Katers. Der ist genau so lange zärtlich, bis er sein Fressen im Napf hat. Bei meinem Sohn ist es nicht anders: Kaum hat er seine neue Telefonkarte, mehr Taschengeld oder die Erlaubnis, auf eine Party zu gehen, wendet er sich wieder von mir ab.
    Auf jeden Fall habe ich inzwischen begriffen, wozu die Pubertät da ist. Nicht, damit sich die Kinder von den Eltern lösen – nein, dazu, dass die Eltern sich von den Kindern lösen! Wenn die Kinder so lieb und süß blieben, wie sie es als Kleine waren, würde man sie niemals hergeben. Man würde sie zwingen, weiter zu Hause zu wohnen, würde verhindern, dass sie jemals Partner oder Partnerin fänden, würde sie weiter bemuttern und bevatern.
    Aber wenn sie garstig sind, wie oftmals in der Pubertät, kommt einem doch der Gedanke, dass es auch ganz schön sein könnte, wenn sie eines Tages das Elternhaus verlassen würden.
    Auch, wenn ich mir das in meinem Liebeskummer jetzt noch gar nicht vorstellen will …

Ich will nicht bekehrt werden!
    Es ist schön, wenn Menschen sich für etwas engagieren. Es ist nicht schön, wenn sie dabei zu Fanatikern werden, die sich so sehr in ein Thema verbeißen, dass sie keine andere

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