Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen
würde Spinnen nicht unbedingt in die Hand nehmen, aber an der Wand stören sie mich nicht weiter. Kakerlaken finde ich weitaus ekliger, auch Tausendfüßler finde ich grässlich, weil ich mir immer vorstelle, sie könnten nachts, während ich schlafe, in meine Nase oder meine Ohren kriechen. Richtig zum Schütteln finde ich Schlangen, sofern sie sich nicht hinter der dicken Glasscheibe eines Terrariums befinden. Dort hingegen studiere ich sie fasziniert, denn das Abstoßende ist ja immer auch in gewisser Weise anziehend.
Ich habe eine Freundin, die graust sich vor Vögeln, und zwar vor harmlosen Spatzen ebenso wie vor Tauben, Möwen oder Adlern. Es ist eine Mischung aus Angst und Ekel, und sie kann absolut nichts dagegen tun. Gleichzeitig greift sie ungerührt ihrem röchelnden Hund in den Rachen und zieht ihm einen halb vermoderten Knochen raus – ein Anblick, bei dem ich Mühe habe, mich nicht zu übergeben.
Meine Tochter ekelt sich so sehr vor Nacktschnecken, dass sie an Regentagen nicht zur Schule gehen will. Habe ich sie endlich überredet, springt sie auf der Straße panisch von einem Fuß auf den anderen, um bloß nicht auf eine Schnecke zu treten. Gleichzeitig wischt sie sich beim Essen gern den Mund am eigenen T-Shirt ab, was wiederum bei mir Ekelanfälle auslöst. Ebenso wie das Nasehochziehen, eine Lieblingsbetätigung meines Sohnes, der sich aber nicht scheut, zur gleichen Zeit die »total widerlichen« Tischmanieren seiner Schwester anzuprangern.
Manche Menschen zahlen eine Menge Geld für Delikatessen wie frische Austern, andere halten sie für einen schleimigen Schluck Meerwasser und würden für keine Summe der Welt etwas so Scheußliches essen. Viele Leute verspeisen mit Genuss Leberpastete oder Gelbwurst, ekeln sich aber vor einem gebratenen Stubenküken, weil es sich erkennbar um ein Tier handelt. Wieder andere haben nicht das geringste Problem mit Fischstäbchen oder Schlemmerfilet à la Bordelaise – wenn aber ein ganzer toter Fisch von ihrem Teller vorwurfsvoll zu ihnen hochglotzt, verschlägt es ihnen den Appetit. Ich bin da übrigens keine Ausnahme: Glibberigen, rohen Tintenfisch finde ich absolut ekelig – gebraten mit Knoblauch und Petersilie gehört er zu meinen Lieblingsgerichten.
Für manche Menschen ist das ganze Leben ein Kampf gegen ihre persönliche Ekelschwelle. Wer einmal anfängt, sich vorzustellen, wovor man sich alles ekeln könnte, wird seines Lebens nicht mehr froh. Ich habe einen Kollegen, der nur mit Sagrotan-Spray im Gepäck reist und keine Türklinke anfasst, ohne ein Papiertaschentuch darumzuwickeln. Der gleiche Herr wäre fast einmal auf seinem Hotelbett verhungert, weil er versehentlich seinen linken Schlappen zu weit weg geschleudert hatte und nicht auf den Teppichboden treten wollte.
Am schlimmsten aber sind junge Mütter, denn die finden gar nichts ekelhaft. Mit Ausrufen der Begeisterung quittieren sie den Anblick voller, stinkender Windeln, hingerissen sehen sie zu, wie ihre Babys Karottenbrei durch die Gegend spucken und lecken den Kleinen auch schon mal die Reste vom Mund ab. Mein Mann erzählt heute noch gern die Geschichte, wie wir mit unserem wenige Wochen alten Leo in einem Gartenlokal saßen und ich beim Blick in sein winziges Näschen verzückt ausstieß: »Schau nur, was für ein riesiger Popel!«
Der Gesichtsausdruck der Leute, die mit am Tisch saßen, war mit Geld nicht zu bezahlen.
Immer nett im Internet
Jetzt ist es passiert. Was Zigaretten, Rum-Marzipan-Datteln, Mandelschokolade, Gummibärchen, Rotwein und die Liebe nicht geschafft haben, das hat das Internet geschafft: mich zur Süchtigen zu machen.
Ungefähr zehnmal am Tag (manchmal auch öfter) tippe ich * * * * * * ein (mein Passwort), und schon öffnet sich das Tor zu einer fantastischen Welt. Zuerst natürlich: »Sie haben 28 neue Mails.« Juchhuuh, so viel Post, ist das nicht toll? Und schon geht’s los:
»Verlängern Sie Ihren Penis in nur 18 Tagen!« Oh, vielen Dank, das hatte ich schon lange vor.
»Viagra ohne Rezept, schnell und günstig!« Na, so eine Gelegenheit!
»Das Paris-Hilton-Sex-Video!« Das war es, was mir definitiv gefehlt hat.
»Tragen Sie in Heimarbeit endlich Ihre Schulden ab!« Das mache ich schon seit Jahren. Sitze zu Hause und schreibe. Schulden habe ich immer noch.
»Kaufen Sie jetzt – zahlen Sie später!« Hah! Darauf falle ich nicht mehr rein. Was glaubt ihr, wo meine Schulden herkommen?
Click – schon bin ich auf meiner Lieblingsseite: Ebay. Mal
Weitere Kostenlose Bücher