Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen
nicht dazwischen, warum glauben wir steif und fest, dass manche Gegenstände eine magische Kraft haben, und warum kann es einfach kein Zufall sein, wenn unsere Freundin genau dann anruft, wenn wir gerade an sie denken?
Den Zufall mögen die meisten Menschen ohnehin nicht besonders, weil durch ihn auch unangenehme Ereignisse immer dann eintreten, wenn man nicht mit ihnen rechnet. Das verunsichert und macht Angst. Aus heiterem Himmel kann uns eines jener Unglücke treffen, die doch eigentlich immer nur anderen passieren. Deshalb versuchen wir, in solchen Vorfällen einen verborgenen Sinn zu sehen.
Wenn auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch unser Auto kaputtgeht, kann das nur bedeuten, dass der Job nicht der richtige für uns ist. Wenn wir bei der ersten Verabredung mit einem Mann versehentlich an der falschen U-Bahn-Station aussteigen, stimmt sicher mit dem Mann etwas nicht, und eine gnädige Vorsehung wollte uns warnen. Wenn wir gerade einen Namen für unser Baby suchen und innerhalb einer Woche dreimal auf den Namen Lukas stoßen, muss das etwas zu bedeuten haben.
Besonders ungern überlassen wir dem Zufall wichtige Entscheidungen des Lebens, obwohl wir auch nach gründlicher Abwägung aller Aspekte niemals sicher sein können, die beste Wahl getroffen zu haben. Wer kann schon wissen, ob die Gegend, in der wir ein Haus bezogen haben, nicht demnächst von einem schweren Sturm zerstört oder durch auslaufende Giftfässer unbewohnbar wird? Niemand kann uns voraussagen, ob unser Kind auf der von uns gewählten Schule ein glänzendes Abitur oder eine Drogenkarriere machen wird. Und ob wir für den Urlaub besser das eine oder das andere Hotel buchen sollten, ist eine für uns nicht lösbare Frage, weil wir beide nicht kennen.
Untersuchungen zeigen, dass in solchen Fällen der Zufall ebenso gute, wenn nicht bessere Entscheidungen trifft als der Mensch. Da wir unseren ganzen Ballast an Vorurteilen, Erwartungen und subjektiven Bewertungen mit uns herumschleppen, ist die Gefahr, dass wir Fehler machen, höher, als wenn wir dem Zufall das Spiel überlassen. Aber wer will schon wahrhaben, dass wir viel weniger Kontrolle über unser Leben haben, als wir glauben.
Wie sagte schon der Dichter Rainer Maria Rilke: »Jeder Tag soll und muss einen Sinn haben, und erhalten soll er ihn nicht vom Zufall, sondern von mir.«
Am wenigsten wollen wir an den Zufall glauben, wenn es um die Liebe geht. Das war doch eindeutig Schicksal, dass wir unserem Liebsten begegnet sind, genau an diesem Tag und an jenem Ort! Wollten wir nicht eigentlich an dem Abend zu Hause bleiben und »Wetten, dass …?« gucken, und nur weil unsere Freundin so gedrängt hat, haben wir uns vom Sofa gerollt und – als hätten wir etwas geahnt – unser schickstes Kleid angezogen, und dann sind wir nicht in unsere Stammkneipe gegangen, sondern – als hätte uns eine innere Stimme geleitet – in die Bar gegenüber, und da stand er, der Mann unserer Träume, und hat nur auf uns gewartet! Wenn da nicht die Götter persönlich ihre Hand im Spiel hatten!
Ein anderes, schönes Beispiel für das Misstrauen des Menschen in den Zufall ist die Geschichte vom Bauern Franz, der jahrelang jeden Sonntag in die Kirche geht und Gott um einen Lottogewinn anfleht. Eines Sonntags betet er wieder einmal: »Bitte, lieber Gott, schick mir einen Lottogewinn, du weißt, ich brauche das Geld, um Kühe und Schafe zu kaufen, und die Kinder brauchen neue Schuhe.« Da wird es plötzlich dunkel, der Himmel tut sich auf, und Gottes Stimme donnert: »Himmelherrgottsakrament, Franzl, dann tu mir den Gefallen und spiel endlich einmal Lotto!« Also: Vertrauen Sie öfter mal dem Zufall, dabei können Sie eigentlich nichts falsch machen!
Ekelschwelle
»Igittt! Geh weg!«– Noch immer höre ich den Entsetzensschrei meines jüngeren Bruders und sehe sein verzerrtes Gesicht vor mir, wenn meine Mutter mit ihrer geschlossenen Faust, in der sich eine gerade gefangene Spinne befand, vor seinem Gesicht herumfuchtelte. Vor Spinnen ekelte er sich so sehr, dass meine Mutter ihm alles Mögliche damit abpressen konnte. So wurde das Krabbeltier zu einem gern eingesetzten Erziehungsmittel, wenn sonst nichts mehr half. Erst vor kurzem gestand meine Mutter, dass sie häufig nur so getan habe, als hielte sie eine Spinne in der Hand. Mein Bruder knirscht heute noch mit den Zähnen, wenn er sich klar macht, wie viele Male er ganz umsonst sein Zimmer aufgeräumt und den Esstisch gedeckt hat!
Ich persönlich
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