Ohne Beweis (German Edition)
bisschen aus dem Ortsgeschehen und ich hörte ihr aufmerksam zu. Es war einfach schön, ihrer Stimme zu lauschen, wenn ich auch nicht alles verstand. Beim zweiten Bier in dem gemütlichen Gasthaus kam es dann plötzlich über mich und ich erzählte ihr, warum ich hier war und dass ich in ein paar Tagen wieder gehen musste. Warum ich ihr das alles erzählte, weiß ich nicht. Sie hatte einfach so eine vertrauenerweckende Art und die Worte waren von ganz alleine gekommen – ich hatte nichts dagegen tun können. Vielleicht hatte ich es auch nicht wollen …
4
Ein paar Tage darauf wartete Nora Angerer, die junge Messermacherin aus Ottenbach, vor dem Eingang zur Bücherstube auf die Lechner-Zwillinge. Doch nur Carolin kam mit ihrem klapprigen Hollandrad angeschnauft.
„Ist Carmen noch nicht da?“, fragte Carolin und stellte seufzend ihr Rad vor die Tiefgarage.
„Doch, da ist sie schon, aber zum Arbeiten wird sie wahrscheinlich keine Lust haben“, meinte Nora nur süffisant lächelnd und zeigte bedeutungsvoll hinauf in Richtung Rathausplatz. Dort waren die Pflasterer heute allerdings nur mit Aufräumarbeiten beschäftigt, denn es war zu heiß zum Verlegen der Grauwacke. Doch der Wetterbericht hatte diesen heutigen heißen Juni-Tag als „Ausrutscher“ bezeichnet und morgen sollte es schon wieder unter zwanzig Grad werden.
„Hängt sie schon wieder bei diesem Arbeiter rum?“, wollte Carolin genervt wissen, die einfach nicht verstehen konnte, was ihre Schwester an diesem Kamil so toll fand. Die zwei konnten sich ja nicht mal richtig unterhalten, denn der Pole sprach nur gebrochen Deutsch und sein Englisch war noch schlimmer als Carmens. Aber Carmen war anscheinend schon glücklich, wenn sie diesem Mann einfach nur beim Arbeiten zusehen durfte. Zugegeben, er sah mit seinen schwarzen, dichten Locken verdammt gut aus und diese tiefgründigen schwarzen Augen … und das Muskelspiel beim Arbeiten war auch nicht zu verachten, aber sonst … was konnte dieser Typ ihrer Schwester schon bieten? Immerhin hatte Carmen zwei Teenager zu Hause, an die sie auch noch denken musste.
„Der sieht doch süß aus, findest du nicht?“, fragte Nora frech, obwohl sie genau wusste, was Carolin gemeint hatte. Zwischen Carmens Leben und dem von diesem polnischen Arbeiter klafften Welten und ihre Kinder Fridolin und Viola wären über diese Beziehung sicher auch nicht glücklich. Carmens vor drei Jahren verstorbener Mann war ein hohes Tier in einer Metallfabrik gewesen und da konnte dieser Kamil natürlich nicht mithalten. Carmen war doch über den Tod ihres geliebten Mannes immer noch nicht ganz hinweg. Vielleicht ließ sich ihre seit ein paar Tagen erkennbare leicht depressive Stimmung damit erklären, dass sie ihre aufkeimende Verliebtheit mit Kamil als Verrat an ihrem Mann ansah? Nora war gespannt, wie sich diese ganze Geschichte entwickeln würde. Spannend war das allemal, natürlich nicht ganz so spannend wie ihre eigene Liebesgeschichte, die immerhin mit einem Mordfall begonnen hatte.
Seit ihre Tante Marianne in der Psychiatrie war, half Nora in der Bücherstube aus. Marianne, die durch ihre Spielsucht vor zwei Jahren in einige Mordfälle verwickelt gewesen war und seither kein Wort mehr sprach, hatte früher den Zwillingsschwestern Carmen und Carolin Lechner in der Bücherei ausgeholfen. Die inzwischen zwanzigjährige Nora, die mit ihrer Neugier und Schnüffelei dazu beigetragen hatte, dass ihre Tante von einem anderen Messermacher entführt und dann dessen Selbstmord miterleben musste, gab sich immer noch die Schuld an Mariannes jetziger Situation. Das war wohl auch der Grund, warum Nora angefangen hatte, Unmengen von Schokolade zu essen und wie ihr Freund Joska Nutella aus dem Glas zu löffeln. Zusätzlich zu ihrer alten Angewohnheit, vier Löffel Zucker in den Kaffee zu tun, war das dann doch etwas zu viel des Guten. Inzwischen sah man es ihr auch an – sie hatte seit dieser Sache deutlich zugenommen. Aber sie brauchte die Glückshormone einfach, um sich besser zu fühlen.
Um die Zwillinge gerade jetzt, wo sie mit der Bücherei umziehen mussten, nicht hängen zu lassen, half die junge, quirlige Rothaarige nun gerne aus. Sie war ja selbst eine Leseratte – vor allem Krimis las sie besonders gerne – und so freute sie sich darauf, heute dieses Genre einsortieren zu dürfen.
„Darf ich heute wirklich schon die Krimis einräumen?“, fragte Nora hoffnungsvoll, auch um Carolin auf andere Gedanken
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