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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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waren. Von irgendwoher hörte ich den Schrei einer Frau, doch ich drehte mich nicht um. Ich schob Clayton durch die Tür, und dann waren wir auch schon auf dem Parkplatz und bei Vince’ Pick-up.
    Ich kramte die Autoschlüssel hervor, öffnete die Türen mit der Fernbedienung und hievte Clayton auf den Beifahrersitz – was mich einige Kraft kostete, da die Sitze höher lagen als bei einem normalen Fahrzeug. Ich warf die Tür zu, setzte mich hinters Steuer und erwischte den Rollstuhl mit der Stoßstange, als ich zurücksetzte.
    »Mist«, stieß ich hervor. Vince würde über die Kratzer garantiert nicht begeistert sein.
    Mit quietschenden Reifen verließ ich den Parkplatz und fuhr Richtung Highway. Im Rückspiegel erspähte ich ein paar Leute, die in der Tür der Notaufnahme standen und uns hinterhersahen.
    »Wir müssen uns beeilen«, sagte Clayton. Er sah ziemlich mitgenommen aus.
    »Ich weiß«, sagte ich. »Wieso geht Vince nicht ans Handy? Hoffentlich ist nichts passiert.«
    »Außerdem muss ich noch etwas holen«, sagte Clayton. »Bevor wir zu Cynthia fahren.«
    »Was?«
    Müde hob er die Hand. »Später.«
    »Die werden die Polizei rufen.« Ich wies hinter mich Richtung Krankenhaus. »Ich habe Sie gekidnappt und einen Wachmann niedergeschlagen. Die Cops werden nach uns suchen.«
    Clayton schwieg.
    Mit über neunzig Meilen fuhr ich zurück nach Youngstown, hielt im Rückspiegel immer wieder Ausschau, ob irgendwo Blaulicht auftauchte. Ich versuchte nochmals, Vince zu erreichen, doch auch diesmal ging er nicht ans Handy.
    Als wir die Ausfahrt nach Youngstown erreichten, fiel mir ein kleiner Stein vom Herzen. Auf dem Highway liefen wir entschieden größere Gefahr, von der Polizei aufgespürt zu werden. Was aber, wenn die Cops vor dem Haus der Sloans auf uns warteten? Wahrscheinlich hatten sie inzwischen die Adresse des entflohenen Patienten. Und welcher Todkranke wünschte sich nicht, zu Hause im eigenen Bett zu sterben?
    Ich fuhr die Hauptstraße in südlicher Richtung hinunter, bis wir die Straße der Sloans erreicht hatten. Das Haus wirkte beschaulich; drinnen brannte Licht, und der Honda Accord stand nach wie vor in der Einfahrt.
    Weit und breit war kein Streifenwagen zu sehen.
    Was nichts heißen wollte. Die Polizei konnte immer noch jede Sekunde aufkreuzen.
    »Ich fahre hinters Haus, damit die Cops den Wagen nicht sofort bemerken«, sagte ich.
    Clayton nickte. Als ich den Motor abgestellt hatte, warf er mir einen Blick zu. »Gehen Sie hinein«, sagte er. »Sehen Sie nach Ihrem Freund. Ich komme so schnell wie möglich nach.«
    Ich sprang aus dem Wagen und lief zur Hintertür. Sie war verschlossen. »Vince!«, rief ich. Ich warf einen Blick durchs Fenster, sah aber niemanden. Dann lief ich ums Haus herum nach vorn und versuchte es an der Haustür.
    Sie war offen.
    »Vince!« Ich betrat den Flur. Niemand antwortete.
    Das ganze Haus war wie ausgestorben.
    Ich betrat die Küche.
    Von Enid war nichts zu sehen. Und dann blieb ich wie angewurzelt stehen.
    Auf dem Boden lag ein Mann. Vince. Der Rücken seines Hemds war rot verfärbt.
    »Vince.« Ich kniete mich nieder. »O Gott, Vince.« Im ersten Augenblick dachte ich, er sei tot, doch dann gab er ein unterdrücktes Stöhnen von sich. »O Mann, du lebst!«
    »Terry«, brachte er hervor. »Sie … sie hatte einen Revolver unter ihrer Wolldecke.« Aus seinem Mund rann Blut, und seine Pupillen rutschten hinter die Lider. »Ich hab’s vergeigt.«
    »Nicht reden«, sagte ich. »Ich rufe Hilfe.«
    Ich sah mich um, griff zum Telefon und wählte 911 .
    »Ich habe hier einen Schwerverletzten«, sagte ich. »Eine Schussverletzung.« Ich gab die Adresse durch und fügte hinzu, dass sie sich beeilen sollten. Weitere Fragen der Frau am anderen Ende ignorierte ich und legte auf.
    »Plötzlich war er an der Tür«, flüsterte Vince, als ich mich wieder neben ihn kniete. »Jeremy … Aber sie hat ihn nicht mal reingelassen … hat gesagt, sie müssten sofort los.«
    »Jeremy war hier?«
    »Ich habe sie miteinander reden gehört.« Wieder lief Blut aus seinem Mund. »Sie sind zurück nach Milford gefahren. Sie hat ihn nicht mal aufs Klo gehenlassen. Anscheinend wollte sie verhindern, dass er mich sieht …«
    Was hatte Enid vor? Was ging ihr durch den Kopf?
    Ich hörte, wie Clayton zur Haustür hereinschlurfte.
    »Scheiße«, presste Vince hervor. »Blöde alte Kuh.«
    »Das wird schon wieder«, sagte ich.
    »Terry.« Er sprach so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.

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