Ohne ein Wort
sie, machte auf ihren Gummisohlen kehrt und eilte aus dem Zimmer.
»Ich will nichts Unmögliches von Ihnen verlangen«, sagte ich, »aber wir sollten uns wirklich beeilen. Ich sehe mal, ob ich einen Rollstuhl finden kann.«
Ich betrat den Korridor und erspähte einen Rollstuhl, der vor dem Schwesternzimmer stand. Die Schwester telefonierte gerade. Als sie sah, wie ich den Rollstuhl in Richtung von Claytons Zimmer schob, legte sie auf und lief hinter mir her.
Mit einer Hand hielt sie den Rollstuhl fest, mit der anderen ergriff sie mich am Arm. »Sir«, sagte sie nachdrücklich, wenn auch mit gedämpfter Stimme, um die anderen Patienten nicht zu wecken. »Sie können den Patienten nicht mitnehmen.«
»Er will aber gehen«, sagte ich.
»Dann ist er ganz offensichtlich verwirrt«, sagte sie. »Sie sollten ihm das schleunigst ausreden.«
Ich schüttelte ihre Hand ab. »Es ist wichtig.«
»Und das bestimmen Sie?«
»Es ist seine eigene Entscheidung.« Nun senkte ich die Stimme und sprach so eindringlich wie möglich weiter. »Es ist seine wahrscheinlich letzte Chance, seine Tochter zu sehen. Und seine Enkelin.«
»Warum kommen sie ihn dann nicht einfach besuchen?«, entgegnete sie. »Was die Besuchszeit angeht, können wir ja auch eine Ausnahme machen.«
»Leider ist das Ganze ein bisschen komplizierter.«
»Fertig«, vernahm ich Claytons Stimme. Er trug Schuhe ohne Socken; das Hemd hatte er noch nichtzugeknöpft, aber seine Jacke übergeworfen und sich die Haare mit der Hand zurückgestrichen. Er sah aus wie ein Obdachloser.
Die Schwester gab noch nicht auf. Sie ließ den Rollstuhl los und stemmte die Hände in die Hüften. »Sie können nicht einfach so gehen, Mr Sloan. Dr. Vestry muss das genehmigen, und das würde er sicher nicht tun. Ich werde ihn jetzt sofort verständigen.«
Ich drehte den Rollstuhl zu Clayton, sodass er sich hineinfallen lassen konnte. Dann drehte ich und schob ihn in Windeseile zum Fahrstuhl.
Die Schwester lief in das Schwesternzimmer und griff zum Telefon: »Ist das der Wachdienst? Wie lange soll ich noch auf euch warten?«
Die Aufzugtüren öffneten sich. Ich schob Clayton in den Lift und drückte auf den Knopf fürs Erdgeschoss. Bevor sich die Aufzugtüren schlossen, traf mich der wütende Blick der Schwester.
»Sobald sich die Tür öffnet«, sagte ich zu Clayton, »schiebe ich Sie im Affenzahn nach draußen.«
Er antwortete nicht, klammerte aber die Finger um die Armlehnen des Rollstuhls. Jetzt hätten wir einen Rollstuhl mit Sicherheitsgurt gebraucht.
Die Türen öffneten sich. Vor uns lagen gut zwanzig Meter, die uns vom Ausgang und dem direkt dahinterliegenden Parkplatz trennten. »Festhalten«, flüsterte ich und legte los.
Für Hochgeschwindigkeitsrennen war der Rollstuhl nicht gemacht. Ich lief so schnell, dass die Vorderräder sich zu verstellen begannen. Ich befürchtete, dass der Rollstuhl nach links oder rechts ausscheren und Claytonsich den Hals brechen würde, ehe wir bei Vince’ Pick-up angekommen waren. Deswegen kippte ich den Rollstuhl leicht, sodass er nur noch auf den Hinterrädern fuhr, und lief weiter.
Clayton hielt sich mit aller Macht fest.
Ein paar Meter vor mir erblickte ich plötzlich das ältere Paar, das vor der Notaufnahme gewartet hatte. »Vorsicht!«, rief ich. Die Frau drehte sich hastig um und zog ihren Mann gerade noch rechtzeitig aus dem Weg.
Die Sensoren der Schiebetüren nach draußen würden sicher nicht schnell genug reagieren. Ich drosselte das Tempo, um nicht mit Clayton durch die Glasscheibe zu brechen, und im selben Moment hörte ich jemanden hinter mir rufen – der von der Schwester angeforderte Wachmann, wenn mich nicht alles täuschte.
»He, Sie da! Stehen bleiben!«
Er war direkt hinter mir. Ich war bis oben hin vollgepumpt mit Adrenalin und überlegte auch nicht den Bruchteil einer Sekunde, reagierte nur noch rein instinktiv. Ich ballte die Faust, wirbelte herum und traf meinen Verfolger mit voller Wucht seitlich am Kopf.
Anscheinend hatte der Wachmann – vielleicht 1 , 75 Meter groß und etwa hundertfünfzig Pfund schwer – gedacht, seine graue Uniform und der schwarze Gürtel mit der Pistole würden mich auch so einschüchtern. Gott sei Dank hatte er die Waffe nicht gezogen, da er offenbar davon ausging, dass ein Mann, der einen Todkranken im Rollstuhl schob, keine große Bedrohung darstellte.
Womit er gehörig falschgelegen hatte.
Er sackte auf den Boden wie eine Marionette, derenFäden durchgeschnitten worden
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