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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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»Kümmere dich … um Jane …«
    »Durchhalten, Mann«, sagte ich. »Durchhalten.«

DREIUNDVIERZIG
    »Enid geht nie ohne Waffe an die Tür«, sagte Clayton. »Erst recht nicht, wenn sie allein ist.«
    Er stützte sich gegen die Anrichte, den Blick auf Vince gerichtet, ehe er sich auf den nächsten Stuhl sacken ließ. Er war außer Atem. Der Weg vom Pick-up ins Haus hatte ihn völlig geschafft.
    Nachdem er sich wieder einigermaßen erholt hatte, fuhr er fort: »Man unterschätzt sie leicht. Eine alte Frau im Rollstuhl. Sie hat einfach abgewartet, bis er ihr den Rücken zugekehrt hat, und dann eiskalt abgedrückt.« Er schüttelte den Kopf. »Niemand ist Enid gewachsen.«
    Ich kniete immer noch neben Vince. »Der Notarzt ist unterwegs«, sagte ich. »Er ist sicher bald da.«
    »Ja«, murmelte er. Seine Lider zuckten.
    »Aber wir müssen jetzt los. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
    »Los, geht schon«, flüsterte Vince.
    Zu Clayton sagte ich: »Enid hat Jeremy anscheinend gar nicht ins Haus gelassen. Sie sind sofort aufgebrochen.«
    Clayton nickte bedächtig. »Sie wollte nicht, dass Jeremy Ihren Freund sieht. Das ganze Blut. Sie wollte nicht, dass er davon etwas mitbekommt.«
    »Warum?«
    »Weil Jeremy sonst vielleicht dafür gewesen wäre, die ganze Sache abzublasen. Weil ihm vielleicht aufgegangen wäre, dass ihr ganzer Plan ins Wanken geraten ist – nachdem Enid Ihren Freund hier angeschossen hat und Sie wissen, wer er wirklich ist. Wenn die beiden wirklich vorhaben, was ich glaube, wäre es ein Wunder, wenn sie damit durchkommen.«
    »Aber das muss Enid doch auch klar sein«, sagte ich.
    Ein müdes Lächeln trat auf Claytons Lippen. »Sie verstehen nicht, wie Enid funktioniert. Sie hat nur die Erbschaft im Kopf. Alles andere existiert für sie nicht. Ihre Gedanken kreisen ausschließlich um das Erbe.«
    Ich warf einen Blick auf die Küchenuhr, die die Form eines in der Mitte durchgeschnittenen Apfels hatte. Es war 01 : 06 Uhr.
    »Wie viel Vorsprung haben sie?«, fragte Clayton.
    »Auf jeden Fall zu viel«, gab ich zurück. Auf der Anrichte lagen eine Rolle Alufolie und ein paar braune Krümel. »Sie hat den Karottenkuchen eingepackt«, sagte ich. »Als Proviant für unterwegs.«
    »Okay.« Es bereitete Clayton sichtlich Mühe, sich zu erheben. »Der verdammte Krebs«, sagte er. »Er hat sich überall in mir ausgebreitet. Das ganze Leben nichts als Qual und Schmerz, und dann auch noch ein solches Ende.«
    Als er aufgestanden war, sagte er: »Eine Sache muss ich noch mitnehmen.«
    »Brauchen Sie Schmerztabletten? Oder irgendeine andere Medizin?«
    »In dem Schrank da ist Tylenol. Aber ich meinteetwas anderes. Ich fürchte nur, ich habe nicht die Kraft, in den Keller zu gehen.«
    »Was brauchen Sie denn?«
    »Unten ist eine Werkbank, auf der ein roter Werkzeugkasten steht.«
    »Okay.«
    »Öffnen Sie den Werkzeugkasten. Das, was ich mitnehmen will, habe ich am Boden festgeklebt.«
    Die Kellertür befand sich gleich neben der Küche. Ich knipste das Licht an. »Geht es noch?«, rief ich Vince zu.
    »Verdammte Scheiße«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
    Ich stieg die Holztreppe hinunter. Es roch muffig; ich erblickte Kisten und offene Kartons mit Weihnachtsdekoration, ausrangiertes Mobiliar, ein paar Mausefallen in den Ecken. Am anderen Ende des Kellers befand sich eine Werkbank, auf der diverse Tuben, Schmirgelpapier und Werkzeuge lagen. Dort stand auch der verbeulte rote Werkzeugkasten, von dem Clayton gesprochen hatte.
    Eine nackte Glühbirne hing über der Werkbank. Ich machte Licht, um besser sehen zu können, und ließ die beiden Metallverschlüsse des Werkzeugkastens aufspringen. Rostige Schrauben, Schraubenzieher, ein paar alte Laubsägeblätter. Am liebsten hätte ich den Kasten umgedreht und alles ausgekippt, aber ich wollte keinen Lärm machen. Stattdessen hob ich ihn an und kippte ihn, sodass der Inhalt auf eine Seite rutschte.
    Und da war er. Ein ganz normaler, leicht fleckiger und mit Klebeband am Boden befestigter Briefumschlag. Ich machte ihn los. Keine große Sache.
    »Haben Sie ihn?«, rief Clayton von oben.
    »Ja«, rief ich zurück, während ich den Umschlag in Augenschein nahm. Es war nichts weiter darauf vermerkt, und offensichtlich befand sich nur ein einzelnes Blatt Papier darin.
    »Wenn Sie wollen, können Sie reinschauen«, hörte ich Claytons Stimme.
    Ich riss den Umschlag am einen Ende auf, zog das Blatt Papier mit Daumen und Zeigefinger heraus und entfaltete

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