Ohne ein Wort
mehr. Ich fühle mich wie gelähmt. Wer tut uns das alles an? Wann hört dieser Wahnsinn endlich auf? Warum können wir nicht einfach wieder ein ganz normales Leben führen?«
»Ich weiß«, sagte ich und nahm sie in die Arme. »Ich weiß.«
Aber ein normales Leben führte sie schon seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr.
Als Detective Rona Wedmore abermals bei uns vorbeikam, redete sie nicht lange um den heißen Brei herum. »Wo waren Sie an dem Abend, an dem Denton Abagnall verschwunden ist? Sagen wir, so gegen acht Uhr?«
»Da haben wir zu Abend gegessen«, sagte ich. »Und dann sind wir zu Cynthias Tante gefahren, um ihr einen Besuch abzustatten. Wir haben sie tot aufgefunden und sofort die Polizei gerufen. Ihre Kollegen werden das bezeugen können, Detective Wedmore.«
Zum ersten Mal schien sie leicht verlegen. »Ja, natürlich«, sagte sie. »Das hätte ich bedenken müssen. Seinem Parkschein zufolge ist Mr Abagnall um 20 : 03 Uhr in das Parkhaus gefahren.«
»Gut«, sagte Cynthia kühl. »Dann sind wir ja wenigstens in dieser Hinsicht aus dem Schneider.«
Als ich sie zur Tür brachte, fragte ich Detective Wedmore: »Hat man bei Mr Abagnall einen Brief gefunden? Und ein paar leere Umschläge?«
»Mir ist nichts dergleichen bekannt«, sagte Detective Wedmore. »Warum fragen Sie?«
»Bloße Neugier«, sagte ich. »Übrigens, Mr Abagnall wollte sich über einen gewissen Vince Fleming schlaumachen. Er war mit Cynthia zusammen, an dem Abend, bevor ihre Familie spurlos verschwunden ist. Haben Sie schon mal von ihm gehört?«
»Den Namen höre ich nicht zum ersten Mal«, sagte Detective Wedmore.
Am nächsten Tag sah sie erneut bei uns vorbei.
Als ich sie die Einfahrt heraufkommen sah, sagte ich zu Cynthia: »Diesmal will sie uns wahrscheinlich die Lindbergh-Entführung anhängen.«
Ich öffnete, noch bevor sie anklopfen konnte.
»Was gibt’s denn heute?«, sagte ich.
»Neuigkeiten«, sagte sie. »Darf ich hereinkommen?« Ihr Tonfall klang weniger ätzend als sonst. Ich fragte mich, ob es sich um gute oder schlechte Neuigkeiten handelte.
Ich führte sie ins Wohnzimmer und bat sie, Platz zu nehmen. Cynthia und ich setzten uns zu ihr.
»Okay«, sagte sie. »Vorab sollten Sie wissen, dass ich keine Wissenschaftlerin bin. Ich verstehe ein paar Grundlagen und werde mein Bestes tun, Ihnen alles so gut wie möglich zu erklären.«
Ich sah Cynthia an. Mit einem Kopfnicken bedeutete sie Detective Wedmore, fortzufahren.
»Die Chancen, aus den menschlichen Überresten im Wagen Ihrer Mutter DNA -Material zu gewinnen, standen von Anfang an nicht besonders gut. Im Lauf der Jahre sind beide Körper – wir haben tatsächlich nur zwei Leichen gefunden – vollständig verwest.« Sie hielt inne. »Mrs Archer, mir ist klar, dass es kein besonders angenehmes Thema ist. Darf ich trotzdem offen mit Ihnen sprechen?«
»Bitte«, sagte Cynthia.
Die Wedmore nickte. »Im vorliegenden Fall waren nicht nur Enzyme und menschliche Bakterien am Zersetzungsprozess beteiligt, sondern auch eine Vielzahl von im Wasser lebenden Mikroorganismen. Es waren nur noch die Gebeine übrig. Hätten die Leichen in Salzwasser gelegen, wäre der Zustand der Knochen noch schlechter gewesen, aber hier hatten wir einen ersten Ansatzpunkt.« Sie räusperte sich. »Nun ja, da auch die Zähne erhalten waren, haben wir uns zunächst bemüht, an zahnärztliche Unterlagen über Ihre Familienmitglieder heranzukommen, allerdings ohne Erfolg. Soweit wir feststellen konnten, ist Ihr Vater offenbar nie zum Zahnarzt gegangen. Allerdings spielt das keine große Rolle, da der Leichenbeschauer anhand derKnochenstruktur festgestellt hat, dass es sich bei keiner der beiden Leichen um einen erwachsenen Mann handelt.«
Cynthia blinzelte. Clayton Bigges Leiche war also nicht gefunden worden.
»Tja, und der Zahnarzt Ihrer Mutter und Ihres Bruders ist schon lange verstorben. Die Praxis gibt es nicht mehr, und dementsprechend existieren auch keine Unterlagen.«
Cynthia wirkte, als würde sie sich bereits auf eine Enttäuschung einstellen. Vielleicht würden wir überhaupt nichts erfahren, was uns der Lösung des Rätsels näher brachte.
»Aber immerhin hatten wir die Zähne«, sagte Detective Wedmore. »Von beiden Leichen. Aus Zahnschmelz kann man kein DNA -Material gewinnen, aber durch den Zahn ist die Wurzel perfekt geschützt, und dort lassen sich Zellen extrahieren.«
Cynthia und ich sahen offenbar leicht verwirrt drein, da Detective Wedmore fortfuhr: »Um
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