Ohne ein Wort
endlich Klarheit über das Schicksal Ihrer Mutter und Ihres Bruders haben?«
»Ich weiß nicht so recht«, sagte Cynthia. »Ich wünschte, ich wäre erleichtert, aber ich bin es einfach nicht.«
»Das kann ich gut nachvollziehen«, sagte Dr. Kinzler.
»Außerdem ist mein Vater ja nicht gefunden worden. Detective Wedmore glaubt, dass er sie möglicherweise ermordet hat.«
»Und wenn sich diese Hypothese als wahr herausstellen sollte? Könnten Sie damit leben?«
Cynthia biss sich auf die Unterlippe und starrte auf die Jalousien, als habe sie plötzlich einen Röntgenblick entwickelt und könne hinaus auf den Highway sehen. Es war unsere reguläre Sitzung; Cynthia hatte mit dem Gedanken gespielt, den Termin ausfallen zu lassen, aber ich hatte sie überredet, ihn doch wahrzunehmen. Nun fragte ich mich, ob das wirklich ein guter Ratschlag gewesen war, nachdem Dr. Kinzler eine quälende Frage nach der anderen stellte und ungeniert in Cynthias Wunden bohrte.
»Ich habe mich ja bereits damit abgefunden, dassmein Vater wahrscheinlich nicht der Mann war, für den ich ihn hielt«, sagte Cynthia. »Der Umstand, dass er weder eine Sozialversicherungsnummer hatte noch bei der Kfz-Zulassungsstelle erfasst war, lässt kaum einen anderen Schluss zu.« Sie hielt kurz inne. »Aber ich kann einfach nicht glauben, dass er meine Mutter und Todd umgebracht haben soll.«
»Sie glauben, dass er es war, der den Hut in Ihrem Haus zurückgelassen hat«, sagte Dr. Kinzler.
»Möglich wäre es doch«, sagte Cynthia.
»Aber weshalb sollte Ihr Vater in Ihr Haus einbrechen und Ihnen auf Ihrer eigenen Schreibmaschine einen Brief schreiben, der Sie zu den Überresten Ihrer Mutter und Ihres Bruders führt?«
»Nun ja … Versucht er vielleicht, die Vergangenheit aufzuarbeiten?«
Dr. Kinzler zuckte mit den Schultern. »Ich hatte gefragt, was Sie denken.«
Typisch Psycho-Tante, dachte ich.
»Ich weiß nicht, was ich denken soll«, sagte Cynthia. »Würde ich glauben, dass er sie umgebracht hat, müsste ich davon ausgehen, dass er mit sich ins Reine kommen will. Derjenige, der den Brief geschrieben hat, muss etwas mit dem Tod meiner Mutter und meines Bruders zu tun haben. Sonst wüsste er nicht so viel.«
»In der Tat«, sagte Dr. Kinzler.
»Aber Detective Wedmore glaubt offenbar nach wie vor, ich hätte den Brief geschrieben«, sagte Cynthia. »Auch wenn sie davon ausgeht, mein Vater hätte Mom und Todd umgebracht.«
»Vielleicht glaubt Detective Wedmore, Sie und IhrVater würden unter einer Decke stecken«, spekulierte Dr. Kinzler. »Weil seine Leiche nicht gefunden wurde. Und weil Sie mit dem Leben davongekommen sind.«
Cynthia nickte. »Solche Gedanken hat sich die Polizei wahrscheinlich schon vor fünfundzwanzig Jahren gemacht. Damals haben sie sich garantiert gefragt, ob ich gemeinsame Sache mit Vince gemacht hätte. Wegen des Streits, den ich an jenem Abend mit meinen Eltern hatte.«
»Mir haben Sie erzählt, Sie könnten sich an besagten Abend kaum erinnern«, unterbrach Dr. Kinzler sie. »Wäre es vielleicht möglich, dass Sie bestimmte Erinnerungen schlicht verdrängt haben? Dann würde ich Ihnen zu einer Hypnosetherapie raten.«
»Ich verdränge gar nichts. Ich hatte einen Blackout. Ich war betrunken an dem Abend. Ich war noch ein Kind, dumm und unvernünftig. Ich bin nur noch ins Bett gefallen und habe danach nichts mehr mitbekommen. Bis zum nächsten Morgen.« Cynthia hob die Hände und ließ sie kraftlos in den Schoß fallen. »Selbst wenn ich es gewollt hätte, wäre ich zu einem Verbrechen nicht imstande gewesen. Ich war völlig platt.« Sie gab einen Seufzer von sich. »Glauben Sie mir nicht?«
»Natürlich glaube ich Ihnen«, sagte Dr. Kinzler. »Was für ein Verhältnis hatten Sie zu Ihrem Vater?«
»Ein ganz normales, würde ich sagen. Klar, manchmal sind wir uns in die Haare geraten, aber im Grunde kamen wir gut miteinander aus.« Sie überlegte. »Ich glaube, er hat mich geliebt. Ja, er hat mich über alles geliebt.«
»Mehr als die anderen Mitglieder Ihrer Familie?«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun ja, wenn er Ihre Mutter und Ihren Bruder tatsächlich getötet haben sollte – warum nicht auch Sie?«
»Ich weiß es nicht. Und ich glaube auch nicht, dass er es getan hat. Ich kann es nicht wirklich erklären, aber mein Vater wäre dazu niemals fähig gewesen. Und soll ich Ihnen sagen, warum? Nicht nur, weil er uns liebte, sondern weil er für eine solche Tat viel zu schwach gewesen wäre.«
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