Ohne ein Wort
glaubst. Ich will aus deinem Mund hören, dass ich mit all diesen Dingen nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte.«
Ich schwöre, ich wollte es sagen. Aber ich zögerte eine Zehntelsekunde, und dann hatte sie mir auch schon den Rücken zugedreht.
Als ich Grace’ Zimmer betrat und bereits das Licht gelöscht war, erwartete ich, sie hinter ihrem Teleskop vorzufinden. Aber sie lag schon im Bett, auch wenn sie noch wach war.
»Das ist ja eine Überraschung«, sagte ich, setzte mich auf die Bettkante und strich ihr über die Wange.
Grace schwieg.
»Ich dachte, du würdest Ausschau nach Asteroiden halten. Oder hast du schon?«
»Ist doch egal«, sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte.
»Hast du keine Angst mehr?«, fragte ich.
»Nein«, sagte sie.
»Also besteht in nächster Zeit keine Gefahr?« Ich lächelte. »Na, das ist doch mal eine richtig gute Nachricht.«
»Vielleicht kommen ja doch welche.« Grace vergrub den Kopf in ihrem Kissen. »Aber das ist jetzt auch egal.«
»Was meinst du, Süße?«
»Hier ist immer alles so traurig.«
»Ich weiß, Liebes. Die letzten Wochen waren schlimm für uns alle.«
»Und ob ein Asteroid kommt oder nicht, ist sowieso egal. Tante Tess ist trotzdem gestorben. Dauernd sterben Menschen, wegen allem Möglichen. Sie werden überfahren. Sie können ertrinken. Und manchmal werden Menschen von anderen Menschen getötet.«
»Ich weiß.«
»Mom hat dauernd Angst, aber nicht vor Asteroiden. Für mein Teleskop hat sie sich noch nie interessiert. Das, wovor sie sich fürchtet, kommt nicht aus dem Weltall.«
»Wir würden nie zulassen, dass dir etwas passiert«, sagte ich. »Mom und ich lieben dich über alles.«
Grace schwieg.
»Trotzdem kann’s nicht schaden, mal einen Blick auf den Nachthimmel zu werfen«, sagte ich, glitt von derBettkante und kniete mich vor das Teleskop. »Darf ich mal?«, fragte ich.
»Wenn’s dir Spaß macht«, sagte Grace. Wäre es im Zimmer nicht dunkel gewesen, hätte sie mein verblüfftes Gesicht gesehen.
»Okay«, sagte ich und begab mich in Position. Zuerst warf ich einen Blick auf die Straße, nur für den Fall, dass jemand unser Haus beobachtete; dann führte ich die Linse ans Auge.
Ich richtete das Teleskop gen Himmel und sah lauter Sterne, als handele es sich um eine Panoramaaufnahme aus Star Trek .
»Jetzt schwenken wir mal da rüber«, sagte ich, und im selben Augenblick löste sich das Teleskop vom Stativ, fiel zu Boden und rollte unter Grace’ Schreibtisch.
»Hab ich’s dir doch gesagt, Dad«, sagte sie. »Es taugt einfach nichts.«
Cynthia lag ebenfalls schon im Bett, als ich ins Schlafzimmer kam. Sie hatte sich in ihre Decke gewickelt wie in einen Kokon. Ihre Augen waren geschlossen, aber ich glaubte nicht, dass sie schlief. Anscheinend wollte sie nur nicht mit mir reden.
Ich zog mich aus, putzte mir die Zähne und schlüpfte dann neben sie. Dann griff ich zu der Zeitschrift, die auf dem Nachttisch lag, und blätterte kurz darin herum, konnte mich aber nicht konzentrieren.
Schließlich machte ich die Nachttischlampe aus und kehrte Cynthia den Rücken zu.
Da räusperte sie sich plötzlich.
»Ich lege mich noch ein paar Minuten zu Grace«, sagte sie.
»Okay«, murmelte ich in mein Kissen. Ohne mich zu ihr umzudrehen, sagte ich: »Ich liebe dich, Cynthia. Und du liebst mich auch. Aber an der momentanen Situation gehen wir über kurz oder lang kaputt. Wir müssen etwas unternehmen, sonst zerbrechen wir daran.«
Doch sie schlüpfte aus dem Bett, ohne etwas zu erwidern. Ein schmaler Streifen Licht zerschnitt das Dunkel wie eine Messerklinge, als sie die Tür öffnete, und verschwand wieder. Na schön, dachte ich. Ich war zu müde, um mich zu streiten. Ich war zu müde, um mich mit ihr zu versöhnen. Kurz darauf schlief ich ein.
Und als ich morgens aufstand, waren Cynthia und Grace spurlos verschwunden.
EINUNDDREISSIG
Merkwürdig fand ich es nicht, als ich am nächsten Morgen um 06 : 30 Uhr aufwachte und Cynthia nicht neben mir lag. Sie war schon öfter neben Grace eingeschlafen und hatte die ganze Nacht im Zimmer unserer Tochter verbracht. Deshalb sah ich auch nicht sofort nach ihnen.
Ich stand auf, zog meine Jeans an, trabte ins Bad und wusch mir das Gesicht. Ich hatte schon besser ausgesehen. Der Stress der letzten Wochen forderte seinen Tribut. Ich hatte dunkle Ringe unter den Augen und offensichtlich auch ein paar Pfund abgenommen. Eigentlich gar nicht so schlecht, auch wenn ich es bevorzugt hätte,
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