Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
Kriminaldirektor zückte ein dunkles Notizbüchlein, blätterte hektisch darin herum und tippte anschließend mit dem Daumen seiner rechten Hand die Telefonnummer der Privatklinik ein. Dann drehte er Tannenberg den Rücken zu.
Anscheinend meldete sich gleich jemand, denn Dr. Pfleger sprach den eben ausgedachten Text in sein kleines, silbernes Mobiltelefon. Das Gespräch war umgehend beendet.
„Die Frau in der Zentrale hat gesagt, dass sie nur weiß, dass Dr. Wessinghage heute ab 12 Uhr operiert und er deshalb nicht gestört werden kann.“
„Das ist doch eine Finte! Das ist hundertprozentig eine Finte! Los rufen Sie gleich noch mal an!“
„Quatsch, die sagt mir auch nicht mehr! Die hat garantiert ihre Anweisungen.“
„Kann sein. – Verdammt!“, schimpfte Tannenberg vor sich hin. Nervös fuhr er sich ein paar Mal mit gespreizten Fingern durch die Haare. Dann streckte er beide Arme vor seinem Körper trichterförmig gen Himmel, so als wolle er dadurch die gesamte kosmische Energie auf sich bündeln, warf kurz den Kopf in den Nacken und sagte mit sich überschlagender Stimme: „Dann müssen Sie die Klinik stürmen lassen! Und zwar jetzt! Dazu gibt es überhaupt keine Alternative.“
Der BKA-Abteilungsleiter war anscheinend in der Zwischenzeit gedanklich zu demselben Ergebnis gekommen: „Tannenberg, Sie haben Recht! Ich verständige jetzt sofort das SEK. Die Jungs befinden sich nur ein paar Kilometer von hier entfernt in der Stelzenberger Turnhalle und warten auf ihren Einsatzbefehl.“
Mit fliegenden Fingern tippte Dr. Pfleger auf der Tastatur seines Handys herum und führte anschließend ein kurzes Gespräch. Dann forderte er Tannenberg auf, sich mit ihm gemeinsam an die Landstraße zu begeben, um dort auf die SEK-Fahrzeuge zu warten. Zudem erteilte er ihm die Order, den Einsatzkräften nur mit gebührendem Abstand zu folgen und sich auch in der Nähe des Schlosses dezent im Hintergrund zu halten.
Sein Angebot, mit ihm in einer Dienstlimousine des BKAs zur Privatklinik zu fahren, hatte Tannenberg mit der albernen Begründung abgelehnt, dass er eine Allergie gegen stark getönte Fahrzeugscheiben habe.
Der wahre Grund für die brüske Zurückweisung dieses Angebots hatte ihre Ursache natürlich in etwas ganz anderem: Ihm passte einfach nicht, dass er durch die Präsenz von BKA und SEK zum handlungsunfähigen Statistendasein verdammt worden war. Ihm schmeckte ganz und gar nicht, was ihm da an Ungenießbarem vorgesetzt wurde. Angewidert kaute er darauf herum und spie die widerlichen, unverdaulichen Brocken in weitem Bogen aus.
Entgegen der Anweisung folgte er dem aus sechs Fahrzeugen bestehenden Einsatzgeschwader nicht mit dem ihm auferlegten Sicherheitsabstand, sondern hängte sich direkt an den Wagen Dr. Pflegers. Im Ort dagegen ließ Tannenberg plötzlich den Kontakt zu den wie an einer Perlenkette vor ihm herfahrenden Autos abreißen und parkte seinen BMW in etwa einhundert Metern Entfernung von der Zufahrt zum Parkplatz der Schlossklinik in unmittelbarer Nähe des Trippstadter Dorfbrunnens ab.
Als er beim Passieren des Brunnens für einen Augenblick einen dünnen Wasserstrahl dabei beobachtete, wie er stetig auf einen verwitterten und bemoosten Sandstein traf, um sich dort wie durch Zauberhand sofort in eine Vielzahl versprengter Tröpfchen zu verwandeln, produzierte sein Gehirn plötzlich die Verknüpfung zweier eigentlich voneinander unabhängiger Ereignisse, die ihm wenig später in Form einer Inspiration bewusst werden sollte.
Als Tannenberg zu Fuß das in eine Privatklinik umgewandelte Barockschloss erreichte, hatte das Sondereinsatzkommando bereits mit der generalstabsmäßig geplanten Aktion begonnen: Während in Sturmangriffsmanier der größere Teil der vermummten Einsatzkräfte in die Klinik eindrang, sicherten einige wenige, ganz in schwarz gekleidete, martialische Gestalten die Umgebung des Schlosses ab.
Bereits nach ein paar Minuten erschien der Einsatzleiter des SEK-Kommandos bei Dr. Pfleger, der die überfallartige Einnahme der Klinik von seinem Wagen aus beobachtet hatte, und teilte ihm mit, dass das Schloss unter Kontrolle sei, man aber außer ein paar Patienten niemanden dort angetroffen habe.
„Niemanden?“, schrie der BKA-Beamte dem athletischen Mann entgegen. „Keinen Arzt? Keine Krankenschwester?“
„Nein, Herr Kriminaldirektor! Alle Vögelchen sind ausgeflogen.“
„Das gibt’s doch nicht! Wo sind die denn alle hin?“
„Keine Ahnung, Herr
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