Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
Seite. „Schmerzen? Wohl eher nicht, dafür ging alles ja viel zu schnell.“
„Und Angst?“, wiederholte die junge Kriminalbeamtin, der diese Frage sehr am Herzen zu liegen schien.
„Angst? … Vielleicht. So genau weiß das keiner. Es ist wie bei einem Patienten während einer Operation – oder wenn einer im Koma liegt. Da streitet sich die Wissenschaft. Ich persönlich denke allerdings, dass ein Mensch in solchen außergewöhnlichen Situationen durchaus zu bestimmten Wahrnehmungen fähig ist … Allerdings nur, wenn bei ihm keine gravierenden Gehirnschädigungen vorliegen, wie das zum Beispiel bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma der Fall ist.“
Der Rechtsmediziner brach ab, blickte grübelnd an die Decke. „Nur wie intensiv die sind? Das weiß wirklich keiner.“
„Aber Doc, es gibt doch solche Leute, die von Nahtodeserlebnissen berichten.“
„Gut informiert, Fouquet. Aber bei solchen Medienberichten sollte man stets bedenken, dass diese Menschen sich ja immer nur im Nachhinein äußern konnten. Realtime, wie man heute so schön sagt, hat sie bisher schließlich noch keiner befragen können.“
„Ist ja wohl auch ein anderes Thema, das …“, bemerkte Tannenberg.
„Aber ein sehr interessantes, Wolf! – Vor allem ethisch und philosophisch!“
„Gut, Rainer, von mir aus. Aber leider müssen wir uns hier mit den ganz profanen Dingen des Lebens, beziehungsweise Todes, beschäftigen. Also, weiter im Text: Michael, hast du die Vermisstenmeldungen noch mal durchgecheckt?“
„Klar. Zum letzten Mal vor ’ner guten halben Stunde. Außerdem hat die Zentrale die Anweisung, uns sofort zu verständigen, wenn eine neue reinkommt. Ich hab auch ’ne Anfrage beim BKA gemacht. Die faxen uns so schnell wie möglich die Daten aller in Deutschland seit einer Woche vermissten Personen.“
„Gut!“ Mit Rücksicht auf sein lädiertes Gesäß ließ sich Tannenberg ausnahmsweise einmal nicht auf Petra Flockerzies Schreibtisch niedersinken, sondern lehnte sich nur vorsichtig mit seinen Oberschenkeln an. „Zwei tote Männer. Und keiner sucht sie. Das ist doch einfach verrückt!“
„Warum?“, fragte Mertel, der inzwischen seine ungeplante Zwischenmahlzeit beendet hatte, emotionslos. „Was ist, wenn es sich bei den beiden Männern um Illegale oder Penner gehandelt hat? Die vermisst doch so schnell keiner. Und wenn sie einer vermisst, wird von denen sehr wahrscheinlich keiner freiwillig zur Polizei rennen und eine Anzeige aufgeben.“
„Du hast Recht, Karl!“ Tannenberg kreuzte die Arme vor der Brust. Sein Blick schien den Fußboden abzutasten. Dann atmete er tief ein, während er gleichzeitig die Arme wieder auseinander faltete und sich vom Schreibtisch wegdrückte. „Aber warum haben die das überhaupt gemacht? Und dann auch noch zwei Mal an derselben Stelle. Und vor allem: Wo ist das Motiv für solche Wahnsinnstaten? – Diese Kerle sind doch total verrückt, völlig durchgeknallt!“
„Wieso eigentlich? Schließlich gibt es keine andere Stelle in der ganzen Umgebung, wo man weniger mit einem zweiten Mord gerechnet hätte.“
„Das stimmt zwar, Michael“, pflichtete Sabrina sogleich ihrem Ehemann bei, „aber wir haben immer noch kein Motiv.“
„Na, vielleicht wollte man damit einfach nur ein abschreckendes Exempel statuieren“, sagte Adalbert Fouquet, legte eine kurze Denkpause ein und fuhr dann fort: „Zum Beispiel im Drogenmilieu. Es kann doch sein, dass zwei Drogenkuriere oder Dealer etwas für sich abgezweigt haben, oder vielleicht sogar die ganze Lieferung auf eigene Rechnung verkauft haben.“
„Oder es handelt sich um einen Bandenkrieg oder um Menschenhandel oder um eine Abrechnung im Zuhältermilieu. – Leute, so kommen wir nicht weiter! Das sind alles nur wilde Spekulationen. Wir müssen uns an die Fakten halten.“
„Aber wir haben doch fast keine!“, wandte Kommissar Schauß kritisch ein.
„Doch: Wir wissen, dass der erste Mann beschnitten war.“ Tannenberg sprach direkt den Rechtsmediziner an: „Was ist denn eigentlich mit dem Zweiten: War der auch beschnitten?“
Dr. Schönthaler zuckte mit den Schultern. „Also, ich kann dazu nichts sagen.“ Dann drehte er sich zu dem anwesenden Kriminaltechniker um: „Mertel, du hast mir ja nichts dergleichen in die Alukiste reingelegt, oder sollte ich da in der Eile etwas übersehen haben?“
„Quatsch! So was könnte dir doch nie passieren! Nein. Wir haben ja auch nichts gefunden! Das war ja alles noch viel verstreuter
Weitere Kostenlose Bücher