Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
auf einen Abstiegsplatz rutschen ließ und einen Trainerwechsel zur Folge hatte, Tannenbergs Schmerzen zeitweise gänzlich verschwinden und hellte darüber hinaus auch ein wenig seine angeschlagene Stimmungslage auf, aber im Großen und Ganzen wollte er auch gegen Ende dieses mit negativen Ereignissen so reichlich gespickten Tages einfach nicht mehr so recht in die Gänge kommen.
Nach der ersten Flasche Chianti, die er zu einer Packung Grissinis vertilgte, beschloss er angesichts der diversen physischen und psychischen Schmerzzustände, die ihn durch diesen Apriltag begleitet hatten, sich noch ein weiteres Glas Rotwein zu gönnen und sein lukullisches Abendessen mit einem großen Grappa zu beschließen.
Irgendwann vor Mitternacht nickte er dann auf seiner alten Ledercouch ein.
3
Sonntag, 20. April
Als sich das Telefon mit schrillen, aufdringlichen Tönen bemerkbar machte, waren Fernsehgerät und Deckenbeleuchtung noch immer eingeschaltet. Ein Umstand, der zwar einerseits in Bezug auf die unnötige Energieverschwendung bedenklich war, andererseits aber begünstigte, dass der Schockzustand, mit dem Tannenberg sich zu dieser nächtlichen Stunde zwangsweise herumzuplagen hatte, zumindest ein wenig abgemildert wurde. Was natürlich nicht bedeutete, dass er geistig sofort auf der Höhe war.
„Was? … Moment, ich muss mal kurz den Hörer hinlegen. Bin gleich wieder da“, sagte er, unschlüssig darüber, ob er das, was ihm gerade mitgeteilt worden war, inhaltlich auch tatsächlich verstanden hatte.
Der bei seiner wohlverdienten Nachtruhe vorsätzlich gestörte Kriminalbeamte verschwand gähnend ins Bad, begab sich ans Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und schüttete sich anschließend gleich mehrere Hände voll eiskaltes Wasser ins Gesicht. Als ihm daraufhin der verlebte, ältere Mann im Spiegel nicht gerade freundlich entgegenblickte, verabschiedete er sich mit einer kurzen, wegwerfenden Handbewegung, schleppte sich mühsam zurück ins Wohnzimmer und nahm den schnurlosen Telefonhörer von der Weichholzkommode, auf der er das Mobilteil vorhin abgelegt hatte.
„Also, Michael: Hab ich das eben nur geträumt oder hast du vor einer Minute allen Ernstes behauptet, dass ihr am Heiligenbergtunnel einen weiteren Toten gefunden habt?“
Da Kommissar Schauß die recht häufigen Alkoholexzesse seines Vorgesetzten kannte, hatte er mit dieser Reaktion gerechnet. Deshalb wiederholte er langsam, was er eben schon einmal gesagt hatte: „Ja, Wolf, du hast richtig gehört: Wir haben an derselben Stelle, an der du und Fouquet vorgestern Nacht eine von einem Zug überrollte und zerstückelte männliche Leiche gefunden habt, eine neue entdeckt – besser gesagt, deren Einzelteile.“
Tannenberg konnte es einfach nicht glauben: „Aber das gibt’s doch nicht! Das ist doch nicht wirklich wahr, oder?“
„Doch, leider. Du kannst aber ruhig weiterschlafen. Das schaffen wir schon alleine. Es ist sowieso genau wie bei der ersten Leiche: Wieder wurde sie oben vom Tunneleingang herunter vor einen ICE geworfen. Übrigens derselbe: Abfahrt 1 Uhr 53 vom Kaiserslauterer Hauptbahnhof. Nur der Zugführer ist diesmal ein anderer.“
„Gott sei Dank“, entgegnete Tannenberg mit leiser Stimme, während er wie in Zeitlupe zurück ins Wohnzimmer trottete und dort den Hörer zurück in die Basisstation gleiten ließ.
Verständlicherweise fand der Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission in dieser Nacht nicht mehr zurück in den von ihm dringend benötigten Schlaf. Von fürchterlichen Albträumen geplagt, wälzte er sich stundenlang ruhelos in seinem Bett herum, bis sein innigst geliebter Radiowecker dieser quälenden Tortur schließlich ein abruptes Ende setzte.
Als er gegen 9 Uhr müde und übellaunig im Eingangsbereich der Polizeiinspektion am Pfaffplatz eintraf, stieg ihm ein unbekannter, leicht süßlicher, würziger Geruch in die Nase, den er aber nicht zuzuordnen vermochte. Zunächst dachte er, dass eigentlich nur die im Erdgeschoss ansässige Cafeteria als Ursache dafür in Frage kommen könnte.
Aber genau vor den bunt beklebten Glastüren der ehemaligen Kantine verlor sich die Duftspur plötzlich. Doch bereits nachdem er einige der zu den im ersten Obergeschoss befindlichen Diensträumen des K1 führenden Treppenstufen mit zügigen Schritten überwunden hatte, verschaffte sich dieser unbekannte Geruch erneut Zutritt zu seinem Riechzentrum.
Wie ein spurenerprobter Polizeihund schnüffelte er sich in Richtung der
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