Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
bei der Entnahme anderer Organe wird Blut aus dem Körper des Betroffenen herausgelassen, eine Perfusionsflüssigkeit eingefüllt und das Beatmungsgerät abgestellt, worauf es erst zum Herzstillstand und Kreislaufzusammenbruch und damit zum absichtlich herbeigeführten Ende des jeweiligen menschlichen Lebens kommt. Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass diese so genannten ›Leichen‹ gar keine richtigen Toten sind; schließlich können sie schwitzen, Fieber bekommen, ja sogar künstliche Nahrung verdauen.“
„Außerdem produzieren sie weiterhin fortpflanzungsfähige Spermien und Eizellen. Und nicht nur das: Männer können im Koma Erektionen bekommen, Frauen menstruieren trotz Hirntod weiter. – Man muss einfach nüchtern feststellen, dass zwar jede Leiche tot ist, aber nicht jeder Tote eine Leiche“, ergänzte die Zeitungsreporterin.
„Das ist zwar durchaus etwas makaber, aber inhaltlich vollkommen richtig, Frau Zimmer“, erfuhr sie Unterstützung vonseiten des Kardinals.
„Und, Herr Professor, wenn man sich zudem einmal die objektiven Fakten anschaut, dann ist es doch nicht verwunderlich, dass viele Menschen davor Angst haben, als potentielle Organspender schneller für hirntot erklärt zu werden als Nicht-Organspender …“, gab die Journalistin zu bedenken.
Sie konnte ihren Einwand allerdings nicht weiter ausformulieren, denn der Leiter der Trippstadter Schlossklinik fiel ihr lachend ins Wort: „Wissen Sie, was Woody Allen einmal gesagt hat? – Es gibt nur drei Dinge im Leben, die sicher sind: Der Tod, die Steuern – und die Angst vor beiden!“
„Ich weiß nicht, ob das hier der richtige Ort für Scherze ist, Herr Professor“, rüffelte Gabi Zimmer. „Auch ich hab mich informiert. Hier sind die unumstößlichen Fakten: Weltweit verpflanzten die Transplanteure bislang mehr als 300000 Nieren, 25000 Herzen, 25000 Lebern, 5000 Bauchspeicheldrüsen und 3000 Lungen.“
„Respekt, Sie sind wirklich gut informiert!“, lobte Professor Gelbert.
„Gehört zu meinem Job. Nun weiter: Mit dem steigenden Bedarf kann die Zahl der Spenderorgane aber bei weitem nicht Schritt halten. Diese oft tödliche Kluft hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren weiter vertieft. Sie alle hier in diesem Raum wissen doch genauso gut wie ich, dass viele Organe im Ausland von regelrechten Organjägern beschafft werden, die dann hier bei uns in Privatkliniken reichen Patienten implantiert werden. – Und da wundern Sie sich allen Ernstes, dass bei uns immer mehr Menschen Angst davor haben, wegen ihrer Organe entführt und ausgeschlachtet zu werden.“
„Ach hören Sie doch auf mit diesem Gruselkabinett aus unbeweisbaren Behauptungen, Unterstellungen und Lügen! Der Kollege hat Ihnen vorhin doch wohl anschaulich genug das ausgefeilte gesetzlich vorgeschriebene Prozedere zur Hirntoddiagnose dargestellt“, erwiderte Professor Gelbert.
„Warum bekam denn dann ein bekannter Münchner Adliger vor einem halben Jahr innerhalb kürzester Zeit ein Spenderherz eingeplanzt und, nachdem es bei ihm nicht funktionierte, gleich noch eins, obwohl die Wartezeit für diese Organe laut Eurotransplant doch angeblich eineinhalb Jahre beträgt? Das sind doch keine Märchen, das sind belegbare Fakten, Herr Professor!“
„Diesen Fall kann ich leider nicht kommentieren, da ich bei diesen möglicherweise tatsächlich stattgefundenen Transplantationen nicht beteiligt war und diese Geschichte nur aus der Presse erfahren habe. Und bei solchen effekthascherischen Meldungen bin ich doch mehr als skeptisch.“
„Dann erinnern Sie sich doch bitte einmal an diesen schrecklichen Vorgang, der vor einiger Zeit in Erlangen passiert ist – und das war sicher keine Zeitungsente!“, sagte der Kardinal mit lauter Stimme.
„Sie meinen das so genannte ›Erlanger Baby‹, diese widerliche Geschichte, wo eine hirntote Schwangere von profilneurotischen Ärzten als beatmeter menschlicher Brutkasten missbraucht wurde?“, fragte die Journalistin.
„Genau. Die Ärzte wollten eine im dritten Monat schwangere neunzehnjährige Frau ein halbes Jahr lang künstlich am Leben erhalten. Zum Glück ist es ja nach ein paar Wochen zu einer Fehlgeburt gekommen. Aber dieser Fall ist ein ausgesprochen gutes Beispiel für ein medizinisches Fehlverhalten, das extrem der christlichen Lehre widerspricht. Kann man es denn wirklich zulassen, dass eine Leiche, deren Gehirn, wie Sie, Herr Professor, uns vorhin so anschaulich erläutert haben, sich in der
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