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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Zwischenzeit vollständig aufgelöst hat, ein Kind gebärt?“, fragte der Kardinal vorwurfsvoll.
    „Oder, Herr Professor Gelbert, was ist mit den etwa 600 Säuglingen, die jährlich in Deutschland ohne Großhirn geboren werden, die so genannten ›Anenzephalen‹? Diese hätten, legt man Ihre Definition zugrunde, nie gelebt und könnten sofort nach der Geburt als lebende Organbanken, als gehirnlose Organkonserven benutzt werden, die man dann – und das wäre heutzutage nur noch ein kleiner weiterer Schritt – auch züchten könnte“, meinte die Zeitungsjournalistin mit bebender Stimme.
    „Oh, mein Gott, hören Sie doch bitte auf, ich kann nicht mehr. Ich muss andauernd an die verflüssigten Gehirne dieser armen toten Menschen denken. Ich muss schnell hier raus, mir ist schon ganz übel“, sagte plötzlich der Politiker und verließ schnellen Schrittes den Raum.
    „Ich denke, es ist nun an der Zeit, die Herrschaften zu einem kleinen Imbiss zu bitten, den wir für Sie im Büro von Dr. Wessinghage vorbereitet haben“, schlug der Klinikleiter vor, während er seinen Oberarzt mit einem versteckt zugeworfenen Augenzwinkern bedachte.

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    „Rebekka, seien Sie ja froh, dass Sie vorhin nicht dabei waren! Die öden Smalltalks mit diesen kleinkarierten Sprücheklopfern sind einfach schrecklich und wirklich kaum zu ertragen. Die haben absolut keine Ahnung von der Materie, aber immer ein gewichtiges Statement auf den Lippen!“, sagte der Leiter der Schlossklinik, als ihm die Oberschwester mit einem fahrbaren Krankenbett auf dem Flur entgegenkam.
    „Das stimmt, Herr Professor. So sind sie eben, diese Theoretiker“, pflichtete sie ihrem Chef bei, während dieser die von ihr angesteuerte Tür aufdrückte.
    Professor Le Fuet folgte seiner Mitarbeiterin in ein tristes, dämmriges Zimmer.
    „Da sprechen solche Leute von Ethik und begreifen überhaupt nicht, wie viele Meilen sie mit ihrer spießbürgerlichen, weltfremden Jammer-Moral an den wirklich gravierenden Fehlentwicklungen, die in unserer viel zu liberalen Gesellschaft immer weiter um sich greifen, vorbeisegeln. Als ob es denn tatsächlich um eine so belanglose Frage ginge, wie die nach dem Zeitpunkt des Todes – das ist doch reine Definitionssache!“
    „Das stimmt, Herr Professor!“, wiederholte Rebekka noch einmal dieselben Worte wie Sekunden zuvor.
    „Es geht doch um ein ganz anderes Problem: Wir können es uns einfach nicht mehr erlauben, wertvolle Organe an Leute zu verschwenden, deren Intelligenzquotient oft nicht höher ist als die Summe unserer beiden Schuhgrößen, während uns die geistige Elite unseres Volkes gleichzeitig unter den Skalpellen wegstirbt. Ich kann dieses unverantwortliche Gleichheitsgeseire solcher realitätsfernen Tagträumer einfach nicht mehr hören!“
    „Nicht so laut, Chef!“, mahnte die Oberschwester.
    „Sie haben Recht, Rebekka“, stimmte Professor Le Fuet mit merklich leiserer Stimme zu und schloss die Tür. „Aber dieses Affentheater vorhin hat mich doch arg mitgenommen. So ein Quatsch – gerechte Verteilung der Spenderorgane! Dass ich nicht lache!“
    Er streckte beide Arme und deutete damit auf den gerade von der Intensivstation in ein normales Zimmer verlegten Maximilian Heidenreich. „Schauen Sie sich doch diesen jungen Kerl hier an. Was hat der denn schon geleistet in seinem Leben, außer seinen armen Eltern auf der Tasche zu liegen? Sollen wir so einem Taugenichts etwa eine neue Leber implantieren? Ihn dem Vorstandsvorsitzenden eines großen Unternehmens vorziehen? Nur weil er auf irgendeiner Liste zufällig weiter vorne steht?“
    „Nein, Chef, das wäre wirklich unverantwortlich.“
    „Genau, Rebekka. Und deswegen gibt’s ja auch unsere segensreiche Organisation. Damit solche himmelschreienden Ungerechtigkeiten in aller Stille mit der gebotenen Diskretion korrigiert werden.“
    Rebekka nickte zustimmend.
    „So, jetzt lassen Sie mich noch mal einen Blick auf die detaillierten Befunde werfen.“
    „Ja, Chef, sofort.“ Die Oberschwester verließ für kurze Zeit den Raum und erschien wenig später mit einem Dossier, das sie sogleich an den Leiter der Privatklinik weiterreichte.
    Professor Le Fuet blätterte eine Weile in den Unterlagen. „Gut. Also, die Laborbefunde und die Ergebnisse der Computertomographie sind wirklich beeindruckend. Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir hier einen ausgesprochen kerngesunden, mit anderen Worten: wunderbar verwertbaren, menschlichen Körper vor uns liegen haben, dessen

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