Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
dominanten Sinneswahrnehmung zu lösen und startete zu einer Expeditionsreise in seine nähere Umgebung. Allerdings mit wenig Erfolg, denn sein Schnüffel-Exkurs gestaltete sich weitaus weniger ereignisreich, als er erhofft hatte. Trotz seiner intensiven Bemühungen, sich von diesem aufdringlichen Geruch aus der direkten Umgebung seiner Nase zu lösen, gelang es ihm nicht.
Er hörte kurze Schritte, die sich seinem Bett näherten.
„So, Herr Heidenreich, jetzt werden wir mal die Pflasterreste von Ihrer Nase befreien. Dann fühlen wir uns gleich wieder viel besser, nicht wahr?“
Kaum hatte die Krankenschwester diesen Satz ausgesprochen, begann sie auch schon vorsichtig an seinem wohlgeformten und nicht überdimensionierten Geruchsorgan herumzuzupfen und die immer noch gut haftenden Heftpflasterpartikel zu entfernen. Danach wischte sie ihm, quasi als pflegerische Zugabe, noch mit einem nach milder Seife riechenden Lappen das Gesicht ab.
Genau in dem Augenblick, als Maria damit begann, ihm die Stirn abzutupfen, und dabei ihren Arm streckte, schwappte aus dem erotischen Duftschloss ihrer Achselhöhle eine betörende Geruchswelle über sein Riechzentrum und umhüllte es mit einem lasziven süßlichen Duft, den eben nur eine junge Frau zu verbreiten in der Lage ist.
Unweigerlich musste er an Patrick Süskinds ›Parfum‹ denken, den er erst vor kurzem gelesen hatte; diesen grandiosen Roman, dessen literarische Zentralfigur Grenouille von der Welt der Düfte so besessen ist, dass er sich auf die Suche nach dem perfekten Parfüm begibt – und dabei mehr als 20 junge Frauen ermordet.
Wenn die mich jetzt wieder selbst atmen lassen, hat sich mein körperlicher Zustand garantiert so verbessert, dass sie mich bestimmt bald aus diesem künstlichen Koma rausholen, dachte er zufrieden und ließ es widerstandslos geschehen, dass ihm die Mächte des Schicksals wieder die schwere, dickwandige Taucherglocke überstülpten und ihn zurück in die rabenschwarze Dunkelheit eines gezeitenlosen Meeres warfen.
Kurz vor dem völligen Versinken hörte er plötzlich über sich ein Geräusch, das in Windeseile lauter wurde und überall spürbare Vibrationen verursachte. Es war sehr schwer zu beschreiben. Am ehesten erinnerte es vielleicht an das akustische Szenario, das ein Rührgerät beim Sahneschlagen verursacht. Aber es war so typisch und einzigartig, dass jeder Mensch, der es auch nur ein einziges Mal in seinem Leben bewusst gehört hat, nie mehr vergisst und es immer wieder eindeutig zuordnen kann: Das eigenartige Geräusch, das ein tieffliegender Hubschrauber verursacht.
Auch Max wusste sofort, um was es sich handelte.
Nachdem der Helikopter das Schlossgebäude überflogen hatte, reduzierte sich die Rotationsfrequenz, die produzierten Töne wurden tiefer und satter, bis das markante Geräusch schließlich gänzlich verstummte.
Bestimmt so ein armer Kerl, dem’s richtig dreckig geht , dachte Max.
12
Während Maximilian Heidenreich in der Trippstadter Schlossklinik das albtraumhafte Dasein einer lebenden Mumie fristete und sich gerade Gedanken über ein bemitleidenswertes Unfallopfer machte, bekam etwa 15 Kilometer Luftlinie weiter südlich der Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission gerade von einem Kurierdienst zwei große Pakete zugestellt.
Natürlich hatte sich die Schleicherin, die nur ein paar Häuser weiter mit ihrem Pudel flanierte, gleich in Bewegung gesetzt. Schließlich musste man ja wissen, was da den Tannenbergs zu dieser späten Abendstunde noch Wichtiges angeliefert wurde.
Der Kriminalbeamte hatte weder Lust auf ein Gespräch mit ihr, noch verspürte er ein unstillbares Bedürfnis, sie zu grüßen. Deshalb beeilte er sich. Als die Schleicherin noch circa 5 Meter von ihm entfernt war, hatte er die schweren Pappkartons bereits ins Haus geschleppt. Zur Demonstration seines überwältigenden Sieges knallte er ihr quasi direkt vor der Nase triumphierend die Haustür zu. Dann musste er zuerst einmal verschnaufen. Geradezu liebevoll strich er mit seinen Händen erwartungsfroh über die roten Aufschriften ›Fragile‹ und ›Vino Guerrini‹.
Da Tannenbergs Bruder, der gerade seinen Eltern in der Parterrewohnung des Nordhauses einen Besuch abstattete, sich in der Zwischenzeit neugierig ins Treppenhaus begeben hatte, wurde er von dem Kriminalbeamten umgehend als Packesel eingesetzt. Aber Heiner half gerne, wusste er doch aus der Vergangenheit nur allzu gut, dass bei diesen köstlichen Lieferungen auch stets etwas
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