Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
Organe schließlich andernorts dringend benötigt werden. – Professor von Gleichenstein hat vorhin angerufen; sie brauchen dringend eine Leber und zwei Nieren für irgendeinen Großindustriellen. Er will den Hubschrauber noch heute Nacht losschicken. Rebekka, haben Sie eigentlich schon mal meinen Schweizer Kollegen persönlich kennen gelernt?«
„Nein, Chef, leider nicht. Ich hab nur ein oder zwei Mal kurz mit ihm telefoniert.“
„Schade.“ Professor Le Fuet blickte gedankenversunken auf Maximilian. „Ein ausgesprochen kompetenter und sympathischer Zeitgenosse, unglaublich gebildet und mit vorzüglichen Manieren. Solch eine in allen Belangen herausragende Persönlichkeit findet man heutzutage selbst unter uns Ärzten nur noch selten. – Nun gut, Rebekka, wir wollen hier nicht lange herumschwafeln. Schließlich haben wir noch einige wichtige Vorbereitungen zu treffen.“
Maximilian Heidenreich hatte weder von den Inhalten dieses Gesprächs noch von der an seinem Krankenbett durchgeführten medizin-ethischen Debatte auch nur das Geringste mitbekommen. Das ihm verabreichte, absichtlich höher dosierte Narkotikum hatte ganze Arbeit geleistet und sein Bewusstsein vollständig ausgeschaltet.
Als sich der tiefschlafähnliche Zustand wieder langsam in Richtung des Wachkomas veränderte, empfand er für einen kurzen Augenblick dumpfe Kopfschmerzen und eine extreme Mundtrockenheit, die mit einem leichten Wundschmerz einherging. Einen Moment lang schlummerte er wieder ein. Dann zerriss plötzlich der tiefgraue Schleier, der sich wie eine riesige, dunkle Krake über sein Bewusstsein gelegt hatte und lichtete ein wenig seinen nebelverhüllten Geist.
Trotzdem hatte er immer noch das Gefühl, dass sein Kopf in einer engen Taucherglocke steckte. Er hörte weit entfernte Stimmen, die kurzzeitig mit einem Halleffekt verbunden waren. Gedankenfetzen tauchten auf, verschwanden aber gleich wieder, verflüchtigten sich in der unendlichen Weite eines Ozeans, in dem er wie eine tote Feuerqualle orientierungslos herumtrieb.
„Eh, Mary-Baby, willst du nicht auch’n Gläschen Schampus und ein paar Kaviarschnittchen?“, rief plötzlich der Krankenpfleger schmatzend vom Flur aus. „Die haben uns noch genug übrig gelassen.“
„Nein, Egon“, war alles, was Schwester Maria antwortete.
„Dann rammelt sich nämlich besser!“
„Du bist einfach ein Schwein! – Komm, hilf mir lieber, den Patienten auf natürliche Atmung umzustellen.“
„Ach was, das kannst du doch alleine. Wenn du mir nicht bei meinem Triebstau hilfst, helf ich dir auch nicht.“
„Notgeiler Blödmann“, gab die junge Krankenschwester genervt zurück.
Maria begann an dem hellbraunen Pflaster herumzuhantieren, das die ganze Zeit über Maximilians Nasenatmung erfolgreich verhindert hatte. Mit wenigen geschickten Handgriffen hatte sie das Heftpflaster entfernt. Dann zog sie vorsichtig den Tubus aus seinem weit geöffneten Rachen. Anschließend stellte sie mit einer schnellen Bewegung das Beatmungsgerät ab.
Das Blasebalg-Geräusch verstummte.
Maximilian wurde von körpereigenem Adrenalin durchflutet. Obwohl immer noch im Koma, hatte dieser Schock die Tür zu einer bewussteren Wahrnehmungsebene aufgestoßen.
Als erstes bemerkte er einen ziehenden Schmerz, der anscheinend von seiner ausgetrockneten Nasenschleimhaut hervorgerufen wurde. Dann spürte er, dass sein Brustkorb nicht mehr von einer Maschine in monotonem Rhythmus aufgepumpt wurde, sondern sein Thorax sich ohne jegliche fremde Hilfe langsam und auch nur noch moderat aufblähte.
Wunderbar! Ich hab es geschafft! , stellte er euphorisch fest. Jetzt, wo ich wieder selbst atmen kann, werde ich bestimmt auch bald wieder aufwachen.
Mitten hinein in seinen Freudentaumel platzte eine Erkenntnis, die sein Wohlbefinden weiter steigerte. Denn beglückt registrierte er, dass ihm durch die Freilegung seiner Nase eine bislang verschüttete Dimension der Wahrnehmungsfähigkeit wieder uneingeschränkt zur Verfügung stand.
Ich kann wieder riechen!
Der erste Sinneseindruck, der sich erfolgreich zum Riechzentrum seines Gehirns durchkämpfte, war eine merkwürdige Mehrkomponentenmischung aus typischem Leukoplast-Geruch und scharfem Desinfektionsmittel. Obwohl alles andere als wohlriechend, sog er begierig dieses Geruchsgemisch immer wieder tief ein und ließ sie dabei genüsslich über seine lechzenden Riechzellen strömen.
Irgendwann hatte er sich aber daran satt gerochen. Er versuchte sich von dieser
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