Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
zusammengebrochen ist, verflüssigt sich sein Gehirn relativ rasch. Besonders in einer warmen Umgebung wie hier in diesem Zimmer.“
Die Zeitungsreporterin entledigte sich stumm ihrer Jeansjacke.
„Weniger differenzierte Organe sind dagegen in der Lage, den Sauerstoffmangel über längere Zeitspannen hinweg zu ertragen. Die Haut zum Beispiel bis zu zwei Stunden, selbst wenn sie schon die typische, den Kreislaufstillstand signalisierende fahl-bläuliche Verfärbung angenommen hat. Beim Beatmen hingegen mit stabiler Herz-Kreislauf-Tätigkeit bleibt die Haut, wie Sie hier an diesem Patienten sehr schön sehen können, normal durchblutet und rosig. Bei entsprechend langer Beatmungszeit finden also unaufhaltsam die natürlichen Abbauvorgänge des Hirngewebes nicht unter der Erde, sondern unter Krankenhausbedingungen statt. – Das ist die unumstößliche medizinische Realität, Herr Kardinal!“
Totenstille herrschte in dem überheizten Raum.
„Das ist doch gar nicht die Frage! Vielmehr …“, erwiderte Dr. Engels, wurde aber von Professor Gelbert sogleich unterbrochen.
„Herr Kardinal, wollen Sie ernsthaft behaupten, dass die Seele im menschlichen Körper verbleibt, obwohl das Gehirn sich aufgelöst hat? – Das ist doch eine geradezu gespenstige Argumentation!“
„Das ist es mitnichten! Es geht noch um etwas ganz anderes: Gerade durch diese intensivmedizinischen Maßnahmen werden die verantwortlichen Ärzte zum Herrn über Leben und Tod. Und dadurch erlangen sie eine Machtstellung, die nur Gott zusteht.“
„Machtstellung? Was für ein Quatsch!“
„Natürlich! Es darf aber einfach nicht sein, dass nicht Gott, sondern die Ärzte entscheiden, wann sie einen Menschen sterben lassen! Damit erheben sie sich wissentlich über unseren Schöpfer, der diese Freveltat sicherlich nicht ungestraft geschehen lassen wird – dessen bin ich mir sicher!“
„Ach hören Sie doch auf mit Ihren theologischen Drohgebärden, mich können Sie damit nicht beeindrucken, denn schließlich handele ich im Gegensatz zu Ihnen, moralisch vollkommen integer.“
„Jetzt wird’s endlich richtig spannend!“, bemerkte die Journalistin mit aufflackerndem Blick.
„Ja, werte Dame, dann passen Sie mal auf“, entgegnete Professor Gelbert, der zur Höchstform aufzulaufen schien: „Denn erstens sind die Patienten bereits tot, wenn wir sie ›sterben lassen‹, wie der Herr Kardinal in seinem Artikel so provokativ behauptet hat, und zweitens rette ich mit den Organen dieser Toten viele Menschenleben.“
„Das ist doch ein steinaltes Argument, Herr Professor“, meinte Dr. Engels gelassen.
„Aber ein zentrales! Denn Sie, Herr Kardinal verhindern mit Ihrer Panikmache, dass wir den Todkranken auch weiterhin effektiv helfen können. Deshalb ist Ihr Verhalten absolut verantwortungslos und unmoralisch, nicht das von uns Ärzten!“, ereiferte sich der Transplantationsmediziner. „Und ich sage Ihnen noch eins: Wenn der junge Mann hier hören und sprechen könnte, würde er mir sicherlich zustimmen.“
„Zumal er ja zu seinen Lebzeiten sich in unserem Sinne mit dieser Problematik auseinandergesetzt hat, meine Dame, meine Herren“, pflichtete der Leiter der Schlossklinik seinem Professorenkollegen bei.
„Inwiefern?“, fragte der Kardinal verwundert.
„Ganz einfach: Weil wir in seinen persönlichen Unterlagen einen Organspendeausweis gefunden haben. Wie übrigens bei vielen der jungen Motorradfahrer, die hier in unserer unmittelbaren Nähe auf dieser gefährlichen Bundesstraße leider jedes Jahr verunglücken. Die jungen Leute heutzutage stehen dieser Frage sehr aufgeschlossen gegenüber. Also, ich finde das soziale Engagement sehr beeindruckend“, sagte Professor Le Fuet und tätschelte dabei Maximilians linke Wade.
„Ach, Sie beide können argumentieren, wie Sie wollen“, entgegnete Dr. Engels bedeutend schärfer. „Es bleibt trotzdem dabei: Ihrer Aussage, dass der Hirntod ein sicheres Todeszeichen sei, muss weiterhin aus christlicher Sicht energisch widersprochen werden, denn nach christlichem Verständnis ist das Leben und damit der Leib ein Geschenk des Schöpfers, über das der Mensch nicht nach Belieben verfügen darf. Basta!“
„Sie wiederholen sich, Herr Kardinal! Dadurch werden Ihre hanebüchenen Argumente auch nicht besser“, höhnte Professor Gelbert.
„Ich weiß, dass Ihnen und Ihresgleichen am allerliebsten wäre, wenn die kritischen Stimmen aus den Kirchen gänzlich verstummen würden.“
„Wäre nicht
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