Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
Organspender!“
„Ja, und was ist mit den anderen Reflexen? Da hat man doch schon so einiges gehört“, erbat die Journalistin weitere Informationen.
Oberarzt Dr. Wessinghage mischte sich ein: „Sie meinen diese verrückten Phänomene, diese irritierenden Erscheinungen, die besonders bei Kindern auftauchen, zum Beispiel, wenn man den kleinen Körper an der Seite streichelt, und plötzlich geht der Arm hoch?“
„Ja.“
„Das sind wirklich sehr belastende Erlebnisse. Das kann ich Ihnen versichern. Aber es handelt sich dabei nur um vom Rückenmark ausgehende Reflexe, die man immer wieder auslösen kann. Solche Bewegungen sind allerdings keine Lebenszeichen, sondern sie treten gerade dann erst auf, wenn das Großhirn irreversibel geschädigt ist.“
„Und Sie sind sicher, dass diese Kinder nichts mehr spüren?“
„Ja, dessen bin ich mir absolut sicher.“
„Und warum ruft man dann einen Anästhesisten bei einer Organentnahme?“, gab die Journalistin schlagfertig zurück.
„Na, eben um diese störenden Reflexe auszuschalten.“
„Nein, diese Annahme der totalen Gefühllosigkeit ist meines Erachtens eine sehr kühne Behauptung“, konterte Gabi Zimmer trotzig.
„Also mir erscheint diese Argumentation irgendwie nicht schlüssig“, meldete sich der Landtagsabgeordnete zu Wort. „Auf der einen Seite betäubt man eine Leiche, um ungestört deren Organe ausschlachten zu können, andererseits verzichtet man aber bei diesen sicherlich sehr schmerzhaften Untersuchungen zur Feststellung des Hirntodes auf jegliche Narkosemaßnahmen. Das verstehe, wer will – ich jedenfalls nicht!“
„Aber der Hirntote verspürt doch keine Schmerzen mehr, mein Herr“, erwiderte der Klinikleiter. „Von einem Hirntod spricht man nur dann, wenn alle Gehirnfunktionen komplett ausgefallen sind. – Um es einmal volkstümlich auszudrücken: Der Mensch kann den Tod seines Herzens überleben, nicht aber den Tod seines Gehirns.“
„Das leuchtet mir schon ein“, stimmte der Politiker zu. „Dann lässt sich aber doch die Frage ›Wann ist der Mensch tot? ‹ eindeutig beantworten: eben dann, wenn sein Gehirn nachweisbar funktionsunfähig ist. Und wenn ein Mensch definitiv tot ist, kann er ja wohl auch nicht mehr umgebracht werden, wie Sie, Herr Kardinal, behaupten. Dann kann man den Leichnam doch wohl auch noch so lange konservieren, dass die von anderen Menschen dringend benötigten Organe keinen Schaden nehmen.“
„Aber Hirnversagen ist nicht der Ganzheitstod!“, entgegnete der Kardinal beharrlich. „Hirntote können erst wie Leichen behandelt werden, wenn sämtliche Apparate abgeschaltet worden sind. Sehen Sie nicht, dass die Position, die Sie hier vertreten, einer fremdnützigen Euthanasie Tür und Tor öffnet? Der im Sterbeprozess befindliche Mensch hat ein Recht auf einen natürlichen Sterbevorgang. Er darf nicht wegen irgendwelcher Verwertungsinteressen künstlich am Leben erhalten – und dann, wenn ein günstiger Zeitpunkt gekommen ist, gezielt getötet werden! Genau das verbietet die christliche Ethik!“
„Aber das ist doch keine vorsätzliche Tötung!“, wandte der Transplantationsmediziner Professor Gelbert energisch ein. „Bei den intensivmedizinischen Maßnahmen nach Eintritt des Hirntodes handelt es sich doch um Aktivitäten mit hohem moralischem Stellenwert. Es geht doch schließlich um nichts Geringeres als um die Rettung von Menschen leben mit Hilfe der Organe von Toten. “
„Aber dafür darf man doch um Himmels willen die göttlichen Gebote nicht vorsätzlich verletzen, die ja schließlich zentrale ethische Grundsätze unserer abendländischen Kultur sind.“
„Oh je, die Ethik“, stöhnte Professor Gelbert auf. „Wessen Ethik denn? Wo bleibt die Ethik der vielen armen Patienten, die dringend ein Spenderorgan brauchen?“
„Ich bin im Übrigen durchaus nicht so unwissend und weltfremd, wie Sie vielleicht glauben, meine Herren Ärzte. Ich habe mich nämlich recht ausführlich informiert: Beim Eingriff zur Organentnahme bei einem Hirntoten mit künstlich aufrechterhaltener Atmungs- und Kreislauffunktion handelt es sich nicht um eine bloße Beendigung intensivtechnischer Maßnahmen, sondern um eine gezielte Tötung .“
„Ach so, jetzt sind wir auch noch Mörder!“, empörte sich der Transplantationsmediziner.
„Das zu beurteilen, ist nicht meine Aufgabe. Aber was ich jetzt sage, sind Fakten – und zwar medizinische: Bei der Entnahme von Herzen wird dieses Organ direkt angehalten,
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