Ohrwuermer und Quallenpest
veranlasste, aus Leibeskräften zu singen: »Ooooh, wenn Sonnenstraaahlen auf dem Wasser glaaanzen, möcht ich ’nen Kaaaktus im Vorgarten pflaaanzen und im Bett mit meinen Waaanzen taaanzen, taaanzen, taaanzen …«
»Guten Morgen!«, unterbrach Polly den Gesang ihrer Großtante. Sie rieb sich die verschlafenen Augen und blinzelte auf das glitzernde Meer hinaus.
»Polly!«, rief Großtante Pauletta hocherfreut. »Du bist schon wach?«
»Na ja! Jetzt schon!«
»Geh rauf und weck die anderen. Sie dürfen diesen fantastischen Sonnenaufgang unter keinen Umständen verpassen!« »Ich weiß nicht …«, zögerte Polly. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Jungs lieber ausschlafen würden.«
»Hm. Wahrscheinlich hast du recht.« Großtante Pauletta nickte. »Es sind eben nur Jungs …«
»Das hab ich gehört!« Fynn war gerade nach draußen gekommen und steckte sich jetzt seine tägliche Guten-Morgen-Pfeife an. »Als
ich
noch jung war, da waren wir noch richtige Kerle!«
»Jaja, Fynn«, sagte Großtante Pauletta mit einer abweisenden Handbewegung. »Du und deine uralten Geschichten.«
Fynn nuschelte etwas Unverständliches in seinen Bart und blies dicke Rauchwolken in die Luft.
»Ihr Kinder könntet heute endlich mal im Meer schwimmen gehen«, wandte sich Großtante Pauletta wieder Polly zu.
»Schon …« Polly zögerte und wusste nicht so recht, wo sie hinschauen sollte.
»Ist irgendetwas?«, fragte Großtante Pauletta besorgt.
»Ich glaube, die Jungs sind ziemlich scharf aufs Zaubern … und ich, ehrlich gesagt, auch!«
»Aufs Zaubern?« Fynn kam interessiert näher. »Ich dachte, es hätte sich ausgezaubert?«
»Ja … also, ich meine, nein!« Dann erzählte Polly ihrer Großtante und Fynn von der Entdeckung am vorigen Abend.
Unagenehme Fragen
»Das hier ist es, Herr Kommissar-General-Oberwachtmeister!«, krähte die Frau den Polizisten an und deutete auf das Haus mit dem windschiefen Dach. »Genau da ist der Junge in Frauenkleidern gestern reingestürmt! Ich habe mir gleich gedacht, dass da was faul ist. Und als ich dann heute Morgen im Radio von dem Überfall auf das Museum gehört habe …«
»Hm«, machte der Polizist und nickte. »Dann werden wir der Sache mal auf den Grund gehen!«
Mit gewichtigen Schritten marschierte er auf die verwitterte Haustür zu.
Die Frau schob ihre Brille mit den dicken Gläsern zurecht und tippelte ihm aufgeregt hinterher.
Gerade hatte Polly ihren Bericht beendet, da klopfte es laut und energisch an der Tür.
»Nanu?«, staunte Tante Pauletta. »So viel war ja in den letzten zweihundert Jahren nicht bei uns los!«
»Ich geh schon«, sagte Fynn und schlurfte von der Veranda durch die Küche in den Flur.
»Guten Tag!«, sagte der Polizist förmlich. »Ich komme von der örtlichen Polizeidienststelle. Es geht um den Kleiderraub aus dem Museum, der gestern Abend stattgefunden hat.«
Fynn sah den Polizeibeamten gelangweilt an. »Diese Dame hier …«, der Polizist deutete mit dem Daumen hinter sich, »behauptet, dass sie am gestrigen Tag gegen einundzwanzig Uhr einen Jungen gesehen hat, der in Frauenkleidern in dieses Haus gestürmt ist.«
Fynn schaute zu der Frau, die verzweifelt versuchte, einen Blick in das Haus zu werfen, und sich dabei fast den Hals verrenkte. Er zog schmatzend an seiner Pfeife, blies den Rauch in die Luft und sagte: »Ach!«
»Mehr haben Sie nicht dazu zu sagen?«, hakte der Polizist nach.
»Nö!«, antwortete Fynn. »Was wollen Sie denn hören?
Dass ich hier Jungs verstecke, die nichts Besseres zu tun haben, als in ollen Weiberklamotten herumzulaufen?«
»Aber Fynn!« Pauletta war plötzlich im Türrahmen aufgetaucht und hob jetzt tadelnd den Zeigefinger. »Sei nicht so unfreundlich zu dem Herrn Polizisten.« Sie stellte sich neben den alten Seebären und lächelte breit. »Das ist schön, dass wir endlich mal Besuch bekommen, wo wir doch immer ganzallein hier sind. Darf ich Ihnen vielleicht einen Tee mit Rum anbieten? Dann können wir in aller Ruhe darüber reden, wen Sie suchen und was Sie so alles erleben in Ihrem aufregenden Beruf. Das wäre mal eine schöne Abwechslung in unserem einsamen Leben! Und wir haben ja auch selbst sooo viel zu erzählen! Also früher, als ich noch …«
»Nun ja!«, sagte der Polizist schnell, bevor Pauletta so richtig in Fahrt kommen konnte. »Ich habe leider nicht die Zeit … und denke, dass es sich hier um einen Irrtum handelt.« Er sah die Frau mit den dicken Brillengläsern strafend an.
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