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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Sand gefüllt, die Haut skalpiert, verbrannt, verätzt, den Bauch voll Jauche gegossen, das Herz vor die Hunde geworfen.
    Sie hatten uns vom Lager bis zum Englischen Garten gefahren und beim Eisernen Tor am Ghettorand gesagt: »Den Rest geht zu Fuß.« Es klang wie den Rest eures Lebens. Wir schlurften durch Geröll, das zerlaufene Muster einer Siedlung trug. Auf den Hügeln aus gewesenen Häusern glaubte ich nicht, es werde ein nennenswerter Rest noch sein. Natürlich war das Terrain nicht endlos; es kam mir, weil schier unabsehbar, nur so vor. Wer wird schon ums Ausmaß vom Ghetto feilschen.
    Wie ich das Bemessen unterlasse, bekomme ich es mit Überfülle zu tun. Nicht zufällig, sondern zwangsläufig. Um nicht von zwanghaft zu sprechen. Beispiel: Eben las ich die Memoiren des Pianisten Szpilman und war ein Buch lang mit ihm dort, wo ich anders als er gewesen bin. Es macht uns nicht zu Brüdern, daß wir am selben Ort gefangen saßen, er im Ghetto und ich in glimpflicherer Verwahrung, aber ich weiß, wovon er spricht.
    Natürlich weiß ich nicht, wovon er spricht. Unsere Gemeinsamkeit besteht in einem Stadtplan. Er war Opfer, auch wenn er es nicht ganz geworden ist; ich war Täter, auch wenn ich es nicht ganz geworden bin. Ihm nahmen sie sein Zuhause, ich wollte nur nach Hause. Ihm schleppten sie die Eltern ins Gas; ich dachte an den Herd meiner Mutter. Er kam beinahe um; ich ein wenig zu mir. Unsere Gemeinsamkeit ist geringfügig, sage ich ohne alle Geringschätzung. Immerhin habe ich nach den Szpilmans gefragt.
    Im Lager, das vorher Szpilmans Ghetto war, galt solche Erkundigungals unzulässig. Es machte sich schwer genug, vom Vorleben der Mitbewohner zu erfahren. Die eine Unergiebigkeit hing mit der anderen zusammen. Ergraute Soldaten, die mich duldeten, weil sie jung wie ich gewesen waren, ließen mich maßvoll neugierig sein. Ich durfte mich erkundigen, wer hier gewohnet habe. Ich durfte ob der dürren Halden verwundert sein.
    Bald begriff ich, daß manche Fragen Erlaubnis brauchen. Daß schlau sein muß, wer schlau werden will. Man tat mich zu den Konfirmanden, sagte, wir befänden uns im jüdischen Wohnbezirk, der, wie ich sehe, aufgehört habe zu existieren. Dann besprachen sie die Speisenfolge bei der Konfirmation der Tochter ihrer Nichte. Mein strategisches Forschen war vertan, als ich meinte, es sei eine Art Glück, daß wir im ehemaligen KZ im ehemaligen Ghetto im ehemaligen Warschau eingesperrt säßen. – Doch ist das erzählt und abgegolten.
    Anders die Berührung zwischen Szpilman und mir. Bei ihm kommen die aelazna, die Smocza und die Gęsia als seine Kinderstraßen vor. Bei mir kommen sie kurz nach Ende meiner Kindheit vor. Szpilman wurde in Muranów geboren, das meine Mit-Arier zum jüdischen Wohnbezirk erklärten, bevor sie es zerstörten. Ich avancierte in den Resten zum Angehörigen eines Räumkommandos, das einer Ordnung halber und eines künftigen Denkmals wegen anfangs mit Händen in den fauligen Müll greifen mußte.
    Wenn sonst abgebrauchte Redensarten über den Kolonnen hingen, hielten hier alle den Mund. Nicht daß Skrupel oder Totengedenken uns schweigen ließen; das hatten wir für polnische Städte nicht gelernt. Sogar Flüstern schien riskant, wo selbst die Posten nicht den Schreihals gaben. Wie anderswo Graben-oder-Begraben-werden galt, ließ sich hier ein Sowohl-als-auch erahnen.
    Wir beluden Loren, kippten sie an fernen Plätzen aus. Wo die Bahn begann, entstand eine Ebene; wo sie endete, türmten sich Hügel. Ich sah hin und dachte hin. Entgegen der Empfehlung überließ ich das Denken nicht den Pferden. Ich überließ es mir. Vielleicht, weil ich auf den Gleisen wie ein Pferd in Diensten stand. Was nicht heißt, ich hätte Trost gefunden,wenn ich das Trümmerteil, in das Bewegung kam, ins Verhältnis setzte zur Wüstenei, die weiter reglos lag. Und endlos. Wenn diese Sanduhr richtig ging, hatten wir Steine lebenslang.
    Ich setzte meine Holzschuh in die Kiesel, war dem Gestein ein steter Tropfen, flog schneckengleich voran und hätte Rumpelstilzchen alle meine künftigen Kinder versprochen, wäre es mir beim Räumen von Warschaus brandigstem Bezirk zur Hand gegangen. Doch schien der Knecht nur gut, wenn es galt, Flachs zu Gold zu spinnen, und schien nicht gut, wo es Steinen galt, die keine mehr waren. Ich mußte selber sehen, wie ich den Fuß aus der Erde zog, mußte, wenn ausgemacht war, ich werde nie mehr backen und braten und des Königs oder sonstwes Tochter holen, selber

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